Diese Woche habe ich den Entwurf zu meinem Bericht für den Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments über die europäische „Konnektivitätsstrategie“ abgegeben. Mit nicht ganz 9000 Zeichen, das ist das formale Maximum, das ich unbedingt einhalten musste, habe ich versucht, meine Vorstellungen zur Entwicklung dieser Strategie und die Ergebnisse der mehr als 50 Gespräche, die ich dazu geführt habe, zusammenzufassen.
Ich kann mir vorstellen, dass der eine oder die andere jetzt schon in Versuchung gerät, zu gähnen, oder überlegt, ob er und sie hier wirklich weiterlesen will. Kon-nek-ti-vi-tät? Was so bürokratisch klingt, versteckt ein meines Erachtens sehr spannendes Thema. Konnektivität ist, einfach gesagt, der Gegenentwurf zur Selbstbezüglichkeit, zum Rückzug hinter neu hochgezogene Mauern. Konnektivität handelt davon, wie Handlungsfähigkeit durch Kooperation hergestellt wird. Oder durch verweigerte bzw. schief gewickelte Kooperation verloren geht. Konnektivität ist in dem Sinne eigentlich ein Kernprinzip der ganzen europäischen Integration. Immer wieder stößt es an die Grenzen nationalen Eigensinns, aber ohne das Konnektivitätsgen gäbe es die EU als relevanten Akteur gar nicht. Konnektivitätspolitik ist auch in den Außenbeziehungen der EU immer schon gemacht worden, insbesondere bei der Entwicklungszusammenarbeit. Was aber bisher fehlte, das war das Zwischenglied, das Bindeglied zwischen einzelnen Konnektivitätspolitiken und der grundsätzlichen Konnektivitätsphilosophie. Diese Stelle soll die Konnektivitätsstrategie einnehmen, die formuliert, wie die EU samt Mitgliedstaaten durch die richtigen Konnektivitätsinitiativen zum kohärenten, strategisch wirksamen geoökonomischen und geopolitischen Akteur wird.
Die EU-Konnektivitätsstrategie wurde vor etwas mehr als zwei Jahren aus der Taufe gehoben und ist bisher wie ein Auto ohne Räder. Sie steht auf dem Papier. Die Mitgliedsländer beachten sie kaum. Etliche Generaldirektionen der Kommission genauso wenig. Präsidentin Ursula von der Leyen, die mit dem Vorsatz angetreten war, eine „geopolitische Kommission“ zu führen, hat noch nicht ein einziges Mal auch nur einen Satz zur Konnektivitätsstrategie verloren, obwohl schwer vorstellbar ist, wie sie ihre Ambition ohne diese ernsthaft verfolgen will. Aus ihrem Umfeld verlautete, das Thema sei langweilig. Und so fand es denn auch keine Aufnahme in das Arbeitsprogramm der Kommission für 2021.
Die Prioritäten, auf die man sich 2018 bei der Veröffentlichung der Konnektivitätsstrategie festgelegt hatte, heißen Infrastruktur, Energie, Digitalisierung und People-2-People. Die Juncker-Kommission hatte, kurz bevor sie den Staffelstab weitergab, im Herbst letzten Jahres in Brüssel noch eine große Konnektivitätskonferenz organisiert entsprechend einem Vorschlag, den ich ihnen ursprünglich gemacht hatte. Die Resonanz war sehr hoch: 1400 Teilnehmer*innen, darunter etwa ein Viertel aus verschiedenen asiatischen Ländern. Der japanische Premier Abe war ein Hauptredner. Und mit ihm unterzeichnete Präsident Juncker eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Japan und der EU in Konnektivitätsfragen. Die Bundesregierung war damals durch Minister Altmaier vertreten, der versprach, Berlin werde das Thema weiterführen. An der Stelle hat die Bundesregierung Wort gehalten. Die deutsche EU-Präsidentschaft hat für neue Aufmerksamkeit für die Konnektivitätsstrategie wichtige Impulse gesetzt, die leider bisher im 13. Stock des Berlaymont noch nicht auf Resonanz stießen. Mein Bericht soll nun einen weiteren Impuls aus dem Europäischen Parlament heraus ermöglichen. Wenn alles nach Plan verläuft, könnte der Bericht, der bis dahin sicherlich durch viele Änderungsvorschläge der Kolleginnen und Kollegen einiges an Umfang gewinnen wird, noch im Dezember im Auswärtigen Ausschuss beschlossen und dann hoffentlich im ersten Vierteljahr 2021 vom Europäischen Parlament in einer Plenarabstimmung angenommen werden.
Mein Bericht verfolgt im Wesentlichen fünf Ziele.
Durch eine Neufassung der Prinzipien der Konnektivitätsstrategie möchte ich dazu beitragen, ein überzeugenderes Narrativ zu entwickeln, als wir es bisher haben. Dazu gehört z. B., dass die Konnektivitätsstrategie mit den entscheidenden Großprojekten der EU, wie dem europäischen Green Deal und der digitalen Transformation, eng verknüpft wird. Auch müssen die verschiedenen Dimensionen unserer externen Politik – Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Handelspolitik, Sicherheitspolitik – als kohärente Bereiche in der Konnektivitätsstrategie verbunden werden. Schließlich brauchen wir eine neue Sprache für dieses Unterfangen. Solange China von der Seidenstraße redet und wir mit einem bürokratischen Begriff hausieren gehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn unser Diskurs die Phantasien und Hoffnungen wenig beflügelt.
Zweitens will ich einige Fragen der Governance ansprechen, die gelöst werden müssen, wenn die Konnektivitätsstrategie Hand und Fuß haben soll. Wie kann man Kooperation verschiedener Brüsseler Akteure an die Stelle der bisherigen bürokratischen Grabenkriege setzen? Wie kann man dafür sorgen, dass die Mitgliedsländer sich als Miteigentümer der Strategie verstehen und so handeln? Wie kann man Wirtschaft und Zivilgesellschaft integrieren? Wie kann man internationale Institutionen, die es schon gibt, für unsere Konnektivitätsbemühungen nutzen? Und, nicht zuletzt: Wie können wir dafür sorgen, dass das Auto Strategie auch Brennstoff hat, Geld!, mit dem es fahren kann?
Drittens geht es um die Prioritätensetzung. Ich schlage sechs Prioritäten vor: Grüne Transformation; Digitalisierung; People-2-People; Handel und internationale Standardisierung; Gesundheit; Sicherheit. Ich bin gespannt, ob sich die Kolleginnen und Kollegen auf diesen Katalog einlassen werden.
Der Bericht handelt auch von Konnektivitätspartnerschaften. Davon, wie wir die japanische Konnektivitätspartnerschaft auch wirklich implementieren. Davon, wie wir entsprechende Gespräche und Verhandlungen mit Indien, Südkorea und der ASEAN-Staatengruppe zu einem erfolgreichen Abschluss bringen und dann umsetzen. Davon, wie wir vielleicht mit den USA Gemeinsamkeiten finden, die mit einem eigenen Konnektivitätsprogramm Blue Dot Network unterwegs sind, um private Investitionen für Konnektivitätsprojekte zu mobilisieren. Und auch davon, wie gegebenenfalls eine Kooperation mit Chinas Seidenstraßengroßprojekt aussehen könnte; das ist vielleicht die schwierigste Aufgabe. Denn die multilaterale Orientierung und die Prinzipien der Nachhaltigkeit, der Transparenz, der Inklusivität, der Rechtsstaatlichkeit, nach denen wir operieren, unterscheiden sich doch sehr von der tendenziell hegemonialen Politik der Volksrepublik.
Und schließlich schlage ich vor, die Reichweite der europäischen Konnektivitätsstrategie auszuweiten. Bis jetzt bezog sich diese nur auf den eurasischen Bogen von Lissabon bis Tokio. In Zukunft sollte meiner Meinung nach unser afrikanischer Nachbarkontinent dieselbe Priorität genießen bei der Konnektivitätspolitik wie unsere asiatischen Partner. Die EU braucht eine globale Konnektivitätsstrategie. Aber das heißt natürlich nicht, dass wir jetzt alles gleichzeitig machen können. Die Ausweitung auf Afrika allerdings ist schon in dem entsprechenden Kooperationsabkommen mit Japan vom letzten Jahr angelegt.
Als ich Anfang der Woche meinen Berichtsentwurf fertig hatte, umfasste dieser 19190 Zeichen. Mehr als die Hälfte musste ich also vorerst einmal wieder streichen, einschließlich zahlreicher konkreter Vorschläge. Die Übung im Europäischen Parlament ist allerdings, dass man dann durch eigene Änderungsanträge den Bericht wieder anfetten kann. Ich bin mal gespannt, wie viele Änderungsanträge es insgesamt geben wird. Wenn es weniger als 400 bis 500 wären, müsste ich wohl sagen, dass ich das Interesse nicht habe wecken können. Dann bleibt natürlich auch die Frage, ob die von mir vorgeschlagene Orientierung Rückhalt findet. Ich bin gespannt.
Sonst noch
- Traditionell berichte ich in meinen Plenarnotizen (über die Plenarsitzungen der vergangenen Woche, dieses mal wieder aus dem Homeoffice. Thema der Woche war die EU-Agrarreform – oder vielmehr das, was sie hätte werden sollen.
- Gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der Hong Kong Watch Group im Europäischen Parlament habe ich einen Brief an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und den Hohen Vertreter Borrell zur Initiative der U.S.-Senatoren Rubio und Cardin für eine verstärkte transatlantische Kooperation bezüglich China und Hongkong geschickt. Wir unterstützen diese ausdrücklich.
- In einem Brief an die U.S.-Regierung fordere ich gemeinsam mit vielen europäischen Kolleg*innen, den New-START-Vertrag zur Reduzierung strategischer Waffen zu verlängern.
- Gemeinsam mit vielen europäischen Kolleg*innen fordere ich Präsident El Sisi in einem Brief auf, zu Unrecht inhaftierte politische Gefangene freizulassen, insbesondere vor dem Hintergrund zusätzlicher Gesundheitsrisiken durch die COVID-19-Pandemie.
- 100 Abgeordnete des Europäischen Parlaments fordern in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Vizepräsident Dombrovskis ein EU-Importverbot für chinesische Firmen, die sich an uigurischer Zwangsarbeit beteiligen.
- Gemeinsam mit Europaabgeordneten verschiedener Fraktionen fordere ich das U.S.-Ministerium für Innere Sicherheit auf , den Vorschlag für eine neue Regulierung der Visa für ausländische Journalist*innen fallen zu lassen.
- Am 29.10. nehme ich an der Online-Veranstaltung der Europagruppe Grüne „Deutsche Ratspräsidentschaft: Eine grüne Zwischenbilanz“ teil. Hier gibt es weitere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung.
- Am 03.11. spreche ich bei der Online-Debatte „Changes in the East: ,China-Russia rapprochement and its consequences for Europe‘“. Die Debatte findet im Rahmen der Online-Konferenz „World in Focus“ der Heinrich-Böll-Stiftung Warschau und des Warschauer Büros von ECFR statt.
- Am 05.11. spreche ich beim Green Recovery Panel der Jahreskonferenz der Stiftung 2°. Die Veranstaltung findet online statt. Nähere Informationen sowie die Möglichkeit zur Anmeldung findet Ihr hier.