Zum heute beginnenden Sondergipfel der EU erklärt Reinhard Bütikofer, außenpolitischer Koordinator der Grünen/EFA-Fraktion:
“Dass die EU einen Sondergipfel zu sie bedrängenden Tiefen der internationalen Politik veranstaltet, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und doch überraschend. Indem er den Gipfel zunächst verschob, hatte Charles Michel unwillentlich ein treffendes Symbol geliefert für die vorherrschende Neigung der EU, außenpolitische Herausforderungen vor sich her zu schieben. Jenseits der einzelnen Konfliktthemen vom Brexit über Belarus und das östliche Mittelmeer, über Bergkarabach bis nach Ostasien, stehen zwei Fragen der generellen Orientierung der EU-Politik im Zentrum der Debatte. Erstens, ist “strategische Autonomie” wirklich unsere gemeinsame Überschrift? Zweitens, wie überwindet die EU peinliche interne Blockaden bei außenpolitischen Fragen? Ich finde den Widerstand gegen die vermeintliche Zauberformel “strategische Autonomie” gerechtfertigt. Tatsächlich schillert diese Formulierung so stark, dass sie keinen strategischen Halt liefern kann. Für manche heißt “strategische Autonomie” die Erhöhung eigenständiger Handlungsfähigkeit der EU. Das teile ich. Für andere ist sie eine Chiffre für Protektionismus, Abkopplung vom transatlantischen Verhältnis und die verblasene Hoffnung auf eine Zukunft der EU als dritte Supermacht. Das wäre der Weg in eine Sackgasse.
Bezüglich größerer Handlungsfähigkeit der EU sollte sich der Rat vor der Falle hüten, die Überwindung der Einstimmigkeit zur Voraussetzung für Weltpolitikfähigkeit zu erklären. So schön es wäre, etwa bei Menschenrechtsfragen oder Sanktionen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden zu können, so unrealistisch erscheint das für die nächsten Jahre. Also müssen pragmatischere Wege gewählt werden, um zu verhindern, dass nationaler Eigensinn die ganze EU als Geisel nimmt. Dabei denke ich nicht nur aktuell an Zypern. Der deutsche Eigensinn bei Nord Stream 2 macht es gerade sehr zweifelhaft, ob wir allzu sehr mit dem Finger auf andere zeigen können.
Es ist ein Zufall, dass die erste intensive China-Debatte im Rat seit langem auf den chinesischen Nationalfeiertag fällt. Es wäre zu wünschen, dass der Rat einen außerordentlich nüchternen und realistischen Beitrag zu diesem großen Feiertag leistet.”