#152 Amerikanisch-iranische Eskalation(spause) – aber kein Ausweg in Sicht | BÜTIS WOCHE

Zuallererst wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieser ersten Bütis Woche in 2020 ein gutes und erfolgreiches neues Jahr. Es ist noch genug davon übrig, dass es gut werden kann, selbst wenn es politisch nicht unbedingt gut angefangen hat.

Ich spreche hier, das ist ja auch naheliegend, von der aktuellen, dramatischen Eskalation im langanhaltenden Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Wobei es nicht ganz korrekt ist, zu sagen, dies wäre nur ein Konflikt zwischen den beiden genannten Akteuren. Es ist eben auch ein Konflikt zwischen dem Iran und vielen seiner Nachbarn bis hin nach Israel; in dieser Dimension gehört die EU zu den Iran-Kritikern, selbst wenn man darüber streiten kann, ob wir das immer mit hinreichender Deutlichkeit gesagt haben. Und es ist ein Konflikt zwischen den USA einerseits und der EU andererseits über die Strategie gegenüber dem Iran. Aber im Zentrum steht die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran.

Es war ein großer Erfolg Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der EU insgesamt, als im Jahr 2015 der sogenannte Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), das Atomabkommen mit dem Iran, zusammen mit der Obama-Administration und auch zusammen mit China und Russland vereinbart werden konnte. Die Republikaner in den USA haben dieses Abkommen leider nie ganz akzeptiert und Trump hat es schon vor seinem Amtsantritt vehement bekämpft und dann im Jahr 2018 einseitig aufgekündigt. Die republikanische Begründung für diese strategisch verhängnisvolle Entscheidung betonte immer wieder, dass der Iran trotz des JCPOA in zahlreichen Ländern seiner Nachbarschaft eine aggressive Politik verfolge. Das stimmt übrigens. Doch es war und ist kein Argument dafür, die erfolgreiche Einhegung iranischer Nuklearwaffenambitionen wegzuwerfen. Richtig wäre es gewesen, wenn der Westen, in diesem Fall mit China und Russland an einem Strang ziehend und unter Vertrauen auf die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), strikt an JCPOA festgehalten, die dabei versprochenen wirtschaftlichen Erleichterungen für den Iran realisiert und gleichzeitig gegenüber der iranischen Hegemonialpolitik in seiner Nachbarschaft gemeinsam wirksame Schritte unternommen hätte. Faktisch war das trotz vieler europäischer Versuche mit Trump unmöglich. Erstens, weil der von Absprachen mit Partnern nichts hält. Zweitens, weil der nichts gut finden kann, was sein Amtsvorgänger Obama mit auf den Weg gebracht hatte. Um die einseitige Position der USA durchzusetzen, verhängte Trump nicht nur massive und immer weiter gesteigerte Sanktionen gegen den Iran, sondern versuchte zudem, auch die Europäer auf seine Linie zu zwingen, indem er uns sogenannte Sekundärsanktionen androhte für den Fall, dass weiterhin mit dem Iran Wirtschaftsbeziehungen entwickelt würden, wie dies unmittelbar nach Verabschiedung des JCPOA begonnen hatte.

Die ganze Geschichte der seitherigen Entwicklungen will ich nicht nacherzählen. Aber zu Beginn dieses Jahres erlebten wir eine so dramatische Eskalation, dass viele ernsthaft befürchteten, es könne nun doch tatsächlich zu dem iranisch-amerikanischen Krieg kommen, für den Hardliner in den USA, in Saudi-Arabien und in Israel seit langem getrommelt hatten, um Trump gegen dessen erklärte Absicht in eine solche Richtung zu treiben. Auslöser dieser neuerlichen Eskalationsrunde war die Tötung des wichtigsten iranischen Generals, Soleimani, eines seit über 20 Jahren berüchtigten Schlächters, durch amerikanische Raketen am Bahnhof von Bagdad, mit der Trump dann auch noch angab, wie es so seine Art ist. Die amerikanischen Versuche zur Rechtfertigung dieses Militärschlages haben, soweit ich sehen kann, so gut wie niemand überzeugt. Und alle moralisierenden Argumente, Soleimani habe ein solches Ende seit langem mehrfach verdient, ignorieren großzügig die entscheidende Tatsache, dass Trump damit eine Stange Dynamit in ein Munitionslager warf, wie der ehemalige US-Vizepräsident Biden es ausdrückte. Die internationale Reaktion auf das amerikanische Vorgehen war ein allgemeiner Schock. Irans Führung tobte. Peking und Moskau fanden eine Gelegenheit, zu erklären, wie sehr viel konsequenter sie das Völkerrecht respektieren als Washington. Im Irak wurde eine massive Bewegung ausgelöst, als Reaktion den Abzug ausländischer Truppen zu fordern. Im Iran selbst bombten die USA, wie es aussieht, den Großteil der Bevölkerung, in der sich gerade zuvor noch massive Unzufriedenheit mit dem Regime artikuliert hatte, die brutal unterdrückt worden war, in einen alles dominierenden gemeinsamen nationalen Hass auf die USA.

Wie würde der Iran reagieren? Der Iran reagierte, auch ohne jede Sympathie betrachtet, klug. Er kombinierte nationalistische Rhetorik nach innen zur Regimestabilisierung mit einer überaus vorsichtigen militärischen Reaktion durch einen Beschuss zweier amerikanischer Basen im Irak, der zudem den USA Stunden vorher angekündigt worden war, sodass sie die Gelegenheit hatten, dafür zu sorgen, dass es jedenfalls keine menschlichen Opfer geben würde. Das gelang. Unmittelbar danach erklärte das iranische Außenministerium, damit sei dem Bedürfnis nach Vergeltung und Rache Genüge getan. Tatsächlich spricht aus meiner Sicht vieles dafür, dass der Iran aus dieser Phase des Konfliktes mit umso größerer Wahrscheinlichkeit als Gewinner hervorgeht, je deutlicher er sich zurückhält. General Soleimani war lange bestrebt gewesen, Wege zu finden, wie die USA aus dem Irak und vielleicht aus der ganzen Region vertrieben werden könnten. Es kann sein, zynisch gesagt, dass die USA selbst mit seiner Tötung die Antwort auf die Frage gegeben haben, wie das gehen könne. Denn isolierter als aktuell standen die USA seit dem Sturz von Saddam Hussein in dieser Region wohl noch nie da. Die Eskalationspause, die wir gerade erleben, nützt strategisch, so denke ich, jetzt dem Iran und taktisch im amerikanischen Präsidentschaftsvorwahlkampf Donald Trump, der in seiner Auseinandersetzung mit den Demokraten darauf verweisen wird, dass es möglich ist, brutal zuzuschlagen, sich dabei um internationales Recht nicht zu kümmern und trotzdem oder sogar deshalb nicht in einen Krieg gezogen zu werden. Dass er zwischendurch offen damit drohte, durch die Bombardierung von iranischen Kulturstätten erklärte Kriegsverbrechen begehen zu lassen, ist in der allgemeinen Aufregung schon fast wieder untergegangen. Der Grundkonflikt ist damit natürlich in gar keiner Weise einer Lösung nähergebracht. Noch nicht einmal von Deeskalation kann man reden. Nur davon, dass sich die Spirale gerade jetzt nicht weiter nach oben dreht.

Welche Rolle spielt in der ganzen Entwicklung eigentlich Europa? Keine große. Noch nicht einmal eine wirklich ernsthafte. Keine wirksame, fürchte ich. Die im Überfluss benutzte Rhetorik, wonach Europa zwischen dem Iran und den USA „vermitteln“ wolle/werde/müsse, ist meiner Meinung nach im Wesentlichen substanzlos. Weder bringt die EU bzw. bringen ihre wichtigsten Mitgliedsländer genug Gewicht und Hebelwirkung auf die Waage. Noch ist die interne Einigkeit hinreichend groß und verlässlich. Die deutsche Verteidigungsministerin spricht über den Konflikt anders als der Hohe Vertreter Borrell, die Kommissionspräsidentin von der Leyen anders als Boris Johnson, und Macron hat eine ganz eigene Position, die in Brüssel derzeit noch entschlüsselt wird. Am 10.01. treffen sich die europäischen Außenminister, um zu sehen, wie viel Gemeinsamkeit sie zustande bringen. Ich hoffe, sie überraschen uns alle positiv. Aber sicher steht jetzt schon fest, das belegen die Ereignisse der letzten paar Tage überaus deutlich, dass zwischen dem Anspruch der Europäischen Kommission, eine geostrategische Kommission zu sein, und unserer gemeinsamen Fähigkeit, geostrategisch relevant zu handeln, noch ein riesengroßer Abstand liegt.

PS: Ändert sich an dieser Bewertung etwas, wenn der Absturz der ukrainischen Maschine in Teheran, bei dem tragischerweise über 170 Menschen zu Tode kamen, tatsächlich durch eine iranische Rakete verursacht worden sein sollte? Wenn das, wie von amerikanischer Seite nahegelegt wird, durch ein unbeabsichtigtes Versehen geschehen wäre, dann wahrscheinlich nicht. Natürlich bleibt unser Mitgefühl mit den Opfern.


 

Sonst noch
  • Ich habe mit dem SWR über die Iran-Krise gesprochen. Das Tagesgespräch könnt Ihr hier nachhören.
  • Am 10.01. nehme ich an der Jubiläumsfeier „40 Jahre Die Grünen und 30 Jahre Bündnis 90“ teil.
  • Die nächste Woche ist die erste Straßburg-Woche in diesem Jahr, viele Themen stehen auf der Agenda: Vorstellung des Tätigkeitsprogramms des kroatischen Ratsvorsitzes, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Standpunkt des Europäischen Parlaments zur Konferenz über die Zukunft Europas, europäischer Grüner Deal und mehr.
  • Am 17.01. bin ich für verschiedene Termine in Erfurt, u. a. besuche ich die Aktiv-Schule, um mit den Schüler*innen über ihre Anliegen an die EU zu diskutieren.