#150 Wir brauchen EINE Chinapolitik, nicht viele verschiedene | BÜTIS WOCHE

Die Europäische Union hat im März in ihrer jüngsten Chinastrategie das Land gleichzeitig als Partner, Wettbewerber und systemischen Rivalen bezeichnet. Das war zweifellos ein Fortschritt in der Anerkennung und Benennung der komplizierten Realität unserer Beziehungen zu China als aufsteigender Supermacht. Eine Chinastrategie des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), die im Januar publiziert worden war, kam zu ganz ähnlichen Einschätzungen und es ist zu erwarten, dass auch die Chinastrategie, die BusinessEurope möglicherweise noch vor Jahresende publizieren wird, analytisch nicht weit entfernt liegt.

Doch zunehmend wird, und das zu Recht, die Frage gestellt, wie aus einer Strategie auf dem Papier eine Politik in der Realität werden kann. Das schließt nicht zuletzt die Frage ein, wie die Brüsseler Institutionen und die Mitgliedsländer der EU einen Zustand überwinden können, in dem faktisch jeder einzelne Akteur seine eigene Chinapolitik verfolgt. So richtig es ist, von China eine Eine-EU-Politik zu verlangen, so aussichtslos wird dieses Begehren, wenn wir nicht selber anfangen, in dieser strategisch zentralen Beziehung als eine EU zu operieren.

Reagiert die EU gemeinsam und vielleicht sogar geschlossen auf die Enthüllungen der New York Times zu Xinjiang? Aus internen chinesischen Dokumenten, die der New York Times zugespielt wurden, lässt sich ein ziemlich genaues Bild zeichnen der systematischen Unterdrückung der chinesischen Muslime in Xinjiang.

Reagiert die EU solidarisch und entschieden auf die Anmaßung der chinesischen Botschaft in Stockholm, die der schwedischen Regierung und insbesondere der dortigen Grünen Kulturministerin Amanda Lind droht, weil diese teilgenommen hat an einer PEN-Preisverleihung an den schwedischen Staatsbürger Gui Minhai, der von chinesischen Behörden aus Hongkong entführt wurde und rechtswidrig in einem chinesischen Gefängnis sitzt?

Findet die EU eine gemeinsame Sprache gegen die Verkündung aus Beijing, dass der Hongkonger Verfassungsgerichtshof nicht mehr zuständig sei für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Hongkonger Exekutivhandeln? Faktisch schafft Beijing damit die auf 50 Jahre zugesicherte Unabhängigkeit der Hongkonger Justiz im Handumdrehen ab. Und finden wir eine gemeinsame Sprache gegenüber Gewaltexzessen der Polizei in Hongkong oder wird das vornehm an das Europäische Parlament und vielleicht noch an Frau Mogherini delegiert, während alle anderen signalisieren, damit wollten sie sich lieber nicht befassen?

Schaffen wir es bei der strukturell enorm wichtigen Frage der künftigen 5G-Infrastruktur europäisch gemeinsam zu handeln, um das Sicherheitsrisiko Huawei auszuschließen, oder produzieren wir einen Flickenteppich der Halbheiten?

Sagen wir China im Zusammenhang mit den seit 2013 andauernden Verhandlungen über ein Investitionsabkommen gemeinsam klipp und klar, dass die EU ein solches nur abschließen wird, wenn wesentliche Schieflagen korrigiert werden, die im Widerspruch zu internationalem Handelsrecht stehen und von denen China übermäßig profitiert? Und sind wir bereit, gegebenenfalls z. B. im Bereich unserer Ausschreibungsmärkte neue Regeln zu verabreden, die Reziprozität gewährleisten, statt einfach zuzuschauen, wie chinesische Staatsunternehmen hochsubventioniert von unseren offenen Märkten profitieren, während europäische Unternehmen in China immer mehr Zugänge versperrt sehen?

Bringen wir die notwendige Energie auf, um in der wissenschaftlichen Kooperation mit China gemeinsam auf wesentlichen Grundprinzipien der Wissenschaftsfreiheit zu bestehen?

Die Liste dieser Fragen ist nicht abschließend, aber wenn Frau von der Leyen mit ihrer Kommission, die voraussichtlich am 01. Dezember ihre Ämter antreten wird, tatsächlich geopolitisch wirken will, dann wird sie sich diesen und vielen weiteren Fragen aktiv stellen müssen und dazu beitragen, dass die Mitgliedsländer dabei an Bord sind.

 

Sonst noch
  • Meine Rede bei der Grünen Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld.
  • Am 20.11. spreche ich bei der Diskussion „Moving forward: How can the Croatian and German EU presidencies make 2020 a successful year for the EU‘s Western Balkans policy?“ der Heinrich-Böll-Stiftung.
  • Am 21.11. spreche ich im Rahmen eines Dinners von Südwestmetalle zum Thema „Europa nach der Wahl – Die Rolle der Grünen im Europäischen Parlament“.
  • Am 23.11. nehme ich an der Mitgliederversammlung der Heinrich-Böll-Stiftung teil.
  • Die nächste Woche ist eine Straßburg-Woche, viele Themen stehen auf der Agenda: Wahl der Europäischen Kommission, Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates, auswärtige Angelegenheiten, Haushalt 2020 und mehr.