Europas Unternehmen sorgen sich vor Chinas Protektionismus, während die Konkurrenz durch chinesische Firmen weltweit wächst. Der Grünen-Europachef Reinhard Bütikofer fordert im DW-Interview eine selbstbewusste Antwort.
Deutsche Welle: Wo sehen Sie die Reziprozitätsprobleme zwischen China und Europa?
Reinhard Bütikofer: Reziprozität muss man vielleicht zuerst übersetzen. Das Prinzip heißt, dass sich beide Seiten gegenseitig gleichermaßen faire Bedingungen einräumen. Und da muss man nun einfach nüchtern feststellen, unsere Märkte in Europa sind außerordentlich offen. In China ist es leider so, dass in ganz vielen Bereichen Investoren sehr beschränkt sind.
In China wird zum Beispiel vorgeschrieben, dass deutsche Automobilfirmen, die in Elektromobilität investieren wollen, chinesische Batterien einbauen müssen. In China gibt es Vorschriften über die Offenlegung des Quelltexts von Software. Dann gibt es gesetzliche Regelungen, die jeden Chinesen verpflichten, gegenüber dem chinesischen Geheimdienst alle Informationen offenzulegen, die der Geheimdienst erfragt. Was bedeutet das dann für den Schutz des geistigen Eigentums?
Deswegen sagen wir: Wir wollen, dass sich China auch uns gegenüber öffnet. China hat jetzt 40 Jahre eine Politik der Reform und Öffnung verfolgt, ist aber nicht weit genug gegangen. Die Hoffnungen, die mit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO vor über 15 Jahren verbunden waren, haben sich zum Teil nicht erfüllt. In letzter Zeit verfolgt China zunehmend eine nationalistische Wirtschaftspolitik, und nicht eine Politik der Öffnung. An der Stelle müssen wir dann schon sehr klar sagen, Ihr müsst euch genau überlegen, welche Beziehung ihr wollt.
Aber wie kann Europa das Problem der fehlenden Fairness in China angehen?
Durch Reden ändert sich nicht oft was, zumindest nicht oft genug. Ich nehme das Beispiel des Wettbewerbsrechts. In China haben sich vor zwei Jahren zwei große Staatskonzerne, China Nothern Railway und China Southern Railway, zu einem großen Giganten zusammengeschlossen, der heute CRRC heißt. Dieser staatliche Eisenbahnkonzern alleine ist doppelt so groß wie ihre Konkurrenten Siemens, Bombardier und Alstom zusammen.
Und die europäischen Wettbewerbsbehörden haben sich solche Fusionsvorgänge nicht angeguckt, weil die beteiligten Unternehmen nicht im europäischen Markt aktiv sind. Chinas Wettbewerbspolitik, und übrigens auch die amerikanische, geht anders vor. Diese Länder gucken sich die Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt an. Und jetzt drängt auch dieser Staatskonzern mit Macht nicht nur in Drittmärkte, sondern auch in den europäischen Markt, während wir immer noch so tun, als wäre die mögliche Fusion des Eisenbahngeschäfts von Siemens und Alstom ein Sakrileg. Hier ist es auch an uns klarzumachen, dass wir da in Zukunft andere Praktiken anwenden müssen.
Europa will nun auch eine Art Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen einführen…
Wir sind gegenüber ausländischen Direktinvestitionen zwar offen, aber nicht naiv. Wir müssen darauf achten, dass die Anliegen der Sicherheit und der öffentlichen Ordnung nicht unter die Räder kommen. Und dazu brauchen wir ein sogenanntes “Investment-Screening“, eine Art Überprüfung möglicherweise bedenklicher ausländischer Direktinvestitionen in sensiblen Bereichen.
Aber es geht hier nicht darum, China gegenüber unfreundlich zu sein, sondern Regeln aufzustellen, um sicherzustellen, dass deutsche und europäische Unternehmen nicht ungleich im Wettbewerb stehen und dass es ein sogenanntes “Level Playing Field” gibt.
Wie muss eine umfassende und langfristige Industriepolitik Europas sein, um sich gegenüber ausländischer Konkurrenz zu behaupten?
Ich bin absolut dafür, dass wir in Europa eine gemeinsame Industriepolitik machen. Die wird aber nicht so aussehen wie die chinesische. Wir werden uns nicht auf Staatskonzerne konzentrieren. Ich bin auch nicht dafür, dass man jetzt als Ziel ausgibt, europäische oder nationale oder globale Champions auszurufen. Die Regierung wird nicht darüber entscheiden, welche Firmen welches Geschäft betreiben sollen. Wir brauchen eine gemeinsame Industriepolitik auf einer ordoliberalen Grundlage [ein durch Regeln eingehegter Liberalismus, Anm. d. Red.].
Aber dass wir zum Beispiel unsere Forschungsanstrengungen gemeinsam koordinieren müssen, das liegt doch auf der Hand, bei Themen wie High Performance Computing, Künstliche Intelligenz, Additive Manufacturing oder E-Mobility.
Einzelne Länder in Europa sind nicht stark genug, um jeweils mit den USA oder mit China mitzuhalten. Deswegen müssen wir das gemeinsam tun, gemeinsame Regeln aufstellen. Und das ist nun eine Lehre, die wir aus diesem Wettbewerb mit China ziehen.
Schon jetzt ist China in einigen Branchen Weltmarktführer. Machen Sie sich keine Sorgen, dass Europa langfristig in der Zusammenarbeit mit China nur noch der “Juniorpartner” wird?
China hat schon gezeigt, dass es in einigen Bereichen sehr große Kompetenzen hat. Aber wir müssen uns überhaupt nicht verstecken oder fürchten. Europa ist in ganz vielen modernen Technologie Bereichen weit vorne – nicht in jedem, aber zum Beispiel bei Energie- und Ressourceneffizienz, Recycling-Technologien auch in bestimmten Bereichen von High-Performance Computing. Europa muss nicht ängstlich sein. Europa muss seine Kräfte bündeln.
Wir müssen vernünftige Rahmenbedingungen setzen. Wir dürfen nicht zulassen, dass andere eine gewisse Naivität in Europa ausnutzen – zu unserem Nachteil. Wir sollen auch die Kooperation suchen, wo das möglich ist. Obwohl mit einem System wie China, in dem die Kommunistische Partei in letzter Instanz alles ihrem Herrschaftsanspruch unterwirft, die Kooperation immer in einer gewissen Weise begrenzt sein wird. Man soll weiter mögliche Kooperation suchen. Insbesondere sollen wir, um eine gute industrielle Zukunft für Europa zu haben, verstehen, dass wir das mit Abwehrmaßnahmen nicht hinkriegen, indem wir uns gegen Dumping wehren oder gegen sensible Investitionen. Da müssen wir auch aufpassen. Das Entscheidende ist, dass wir selber die Innovation vorantreiben.
Reinhard Bütikofer, Jahrgang 1953, ist Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei. Er studierte Philosophie, Geschichte, Alte Geschichte und zeitweise Sinologie.
Das Interview führt Cui Mu auf dem “Hamburg Summit – China meets Europe”.
Quelle: https://www.dw.com/de/b%C3%BCtikofer-europa-muss-seine-kr%C3%A4fte-b%C3%BCndeln/a-46488876