Der monströse Palast, den der ehemalige rumänische Diktator Ceauşescu dereinst für sich bauen ließ, ist heute das Haus des rumänischen Parlaments. Mehrere Einheimische, die ich bei meinem ersten Besuch in Bukarest traf, verwiesen darauf, das Gebäude sei das zweitgrößte in der Welt – nach dem Pentagon. (Und 2001 habe man kurz gedacht, es könnte zum größten Gebäude aufrücken, bemerkte ein Zyniker.)
Im Inneren finden sich viel Marmor und Kristalllüster sowie schöne, riesige Teppiche für die hohen und weiten Hallen, die vor Ort gewebt wurden, weil sie zu groß waren, um von außen in das Gebäude gebracht zu werden. An einer Stelle hängt noch ein Bild eines früheren rumänischen Staatskünstlers von 1979, auf dem Ceauşescu als Friedensengel zu den Wolken aufsteigt. In einem prominenten Teil des Gebäudes, nicht weit von dem Ceauşescu-Bild, befindet sich das Amt des Parlamentspräsidenten Dragnea von der PSD, der trotz des bemerkenswerten Ergebnisses von 45 % bei der letzten Wahl auf Grund des rumänischen Rechts nicht Ministerpräsident des Landes werden kann, weil er verurteilt ist wegen Korruption. Gegen eine zweite Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs kämpft er noch. Selbst wenn er dabei ebenfalls mit einer Bewährungsstrafe davonkäme, müsste er im Ergebnis in den Knast. Ein drittes Verfahren droht ihm auch noch; das ist noch nicht anhängig, aber dabei soll es darum gehen, dass er 20 Millionen Euro EU-Gelder zweckentfremdet haben soll. Da gewinnt man eine Wahl mit grandiosen 45%, dominiert das Parlament politisch nach Belieben, treibt den etwas unbeholfenen, konservativen Staatspräsidenten Iohannis vor sich her, lässt sich über dunkle Lobbyumwege vom persönlichen Anwalt des US-Präsidenten Trump, Rudy Giuliani, für viel Geld schriftlich bestätigen, dass diese ganze Strafverfolgung eigentlich eine Hexenjagd sei, und von „Hexenjagd“ versteht Giuliani ja was. Und dann soll man trotzdem in den Knast?
In mehr als 150 Jahren moderner rumänischer Geschichte sei trotz endemischer Korruption niemand je deswegen verurteilt worden, sagte der Vertreter einer Anti-Korruptions-NGO, bevor in den letzten Jahren spezielle Staatsanwaltschaften zuschlugen, die man geschaffen hatte, um der EU zu beweisen, dass man gedenke, sich an die Standards der Rechtsstaatlichkeit zu halten. Dann klappt das, man kommt in die EU. Doch diese Staatsanwältinnen und Staatsanwälte machen einfach weiter. Rund 2000 Verfahren gegen Politikerinnen und Politiker der verschiedensten Parteirichtungen und aller Ebenen seien in den letzten Jahren durch diese Staatsanwaltschaften anhängig gemacht worden. Die politische Klasse tobt. In einem ersten Anlauf vor Jahren versuchte sie, auf plumpe Weise, Abhilfe zu schaffen und wollte eine allgemeine Amnestie erlassen. Da rebellierte die Bevölkerung und die Regierung musste den Rückzug antreten. Gegenwärtig ist nun der zweite Anlauf unterwegs, der etwas indirekter, aber nicht weniger durchschlagend dem Anti-Korruptionskampf ein Ende setzen und außerdem dafür sorgen soll, dass schon Verurteilte von diesem Makel befreit werden. Dagegen gingen am 10. August über 100 000 Rumäninnen und Rumänen in Protest auf die Straße. Sie demonstrierten mit tausenden europäischer Fahnen zugleich ihre Hoffnung, dass die Europäische Union sie in ihrem Kampf unterstützen möge. Wir Grüne in Europa tun das und haben im EP eine Initiative eingereicht, um den Kampf um den Rechtsstaat in Rumänien zum Thema zu machen. Das wird im Oktober geschehen. Zur Vorbereitung dessen war ich jetzt dort.
Die Justizreform in Rumänien, um die da gestritten wird, ist eigentlich eine gute und notwendige Sache. Die EU hat sie mehrfach angeregt. Der größte Teil der vorgesehenen Bestimmungen geht nach Aussagen kritischer Juristen völlig in Ordnung. Doch zwei Dimensionen sind an den geplanten Veränderungen unakzeptabel. Zum einen würde die Unabhängigkeit der Justiz beeinträchtigt. Da scheint die angeblich sozialdemokratische, in Wirklichkeit postkommunistisch-sozial-nationalistische, PSD von Polen lernen zu wollen. Richterinnen und Richter sollen danach etwa in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt, beziehungsweise mit Schadensersatzklagen gefügig gemacht werden. Zum zweiten sind ein paar Bestimmungen genau so zurechtgeschnitten, dass sie in ihrer Wirkung faktisch einer Generalamnestie gleichkämen. In dem Verfahren gegen Parlamentspräsidenten Dragnea etwa, sei, so heißt es, ein gewisser Formfehler begangen worden. Nach derzeitiger Rechtslage ändert das nichts an der Gültigkeit des Urteils. Neuerdings soll nun festgeschrieben werden, dass solche Rechtsfehler zwingend zur Ungültigkeit von Urteilen führen, und diese Regelung soll rückwirkend gelten. Dragnea wäre seine erste Verurteilung los. Im zweiten Verfahren hatte er besonders mit bestimmten Beweismitteln der Staatsanwaltschaft zu kämpfen. Genau solche Beweismittel, die nun zu seiner Verurteilung zu führen scheinen, sollen aber nicht mehr zulässig sein. Auch das rückwirkend. Zweiter Prozess erledigt. Und ganz generell soll Korruption so definiert werden, dass der Begriff erst ab mehr als 1 Million Betrug Anwendung findet. Damit wären die Allermeisten, wenn nicht alle, noch anhängigen Verfahren vom Tisch gewischt.
Wo Korruption herrsche, da sei es auf Dauer nicht möglich, das Vertrauen der Menschen in die Demokratie zu erhalten. So das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung. Korruption ist also nicht nur wirtschaftlich schädlich, nicht nur verwerflich, weil sie den Mächtigen erlaubt, sich auf Kosten des Gemeinwesens zu bereichern, sondern sie ist auch im Kern demokratiefeindlich. Ohne autonome Justiz aber und Herrschaft des Rechts kann der Kampf gegen Korruption nicht erfolgreich sein. Es geht also um den Kern des Politischen in Rumänien.
Die Venedig-Kommission, ein europaweit hochangesehenes, unabhängiges Gremium von Rechtsexperten hat in einer vorläufigen Stellungnahme zur geplanten rumänischen Justizreform in neun fundamentalen Bereichen massive Einwände erhoben. Endgültig will die Venedig-Kommission im Oktober berichten. Ich habe mir in Rumänien die Position zu eigen gemacht, die auch Außenminister Maas zuvor vertreten hatte, dass das rumänische Parlament sich in seinen Entscheidungen am Rat der Venedig-Kommission orientieren soll. Das wird auch unsere zentrale grüne Forderung bei der geplanten Rumäniendebatte im Oktober sein.
Bei meinem Besuch in Bukarest habe ich auch mit zwei Parteien gesprochen, den rumänischen Grünen und der neuen Oppositionspartei USR. Die Grünen, schon traditionell sehr schwach, spielen in dieser Debatte schlicht keine Rolle. Die USR, eine linksliberale, pro-europäische, ökologisch interessierte Anti-Korruptionspartei, die stark in beiden Kammern des Parlaments vertreten ist und bei Umfragen derzeit bei etwa 12 % liegt, ist ein interessanter Partner. Mit ihr arbeiten wir teilweise bei ökologischen Fragen bereits zusammen. Welcher europäischen Parteifamilie sie sich gegebenenfalls anschließen, wenn sie, wie zu erwarten steht, ab nächstem Jahr auch im Europäischen Parlament vertreten sind, werden sie später entscheiden. Beeindruckt hat mich in Gesprächen mit der USR-Führung ihr Bericht darüber, dass es der Partei gelang, über den Sommer mehr als 1.3 Millionen Unterschriften zu sammeln für die Forderung, dass strafrechtlich verurteilte Personen keine politischen Ämter sollen ausüben dürfen. Dazu wird es nun, Zeitpunkt noch ungewiss, ein Referendum geben. Der Hashtag für die Kampagne hieß: #FărăPenali.
Für uns ist wichtig, dass wir alle unterstützen, die für eine europäische Orientierung, für die Werte, auf die Europa gegründet ist, und insbesondere für den Rechtsstaat eintreten. Da könnte auch eine zweite neue Partei noch eine Rolle spielen, angeführt von dem ehemaligen rumänischen EU-Kommissar und Ex-Regierungschef Ciolos, die, obwohl sie formal noch gar nicht gegründet ist, in Umfragen bei 10% liegt. Vielleicht werden USR und die Ciolos-Partei auch eine Zusammenarbeit finden. Jedenfalls hat mir mein kurzer Besuch in Bukarest sehr deutlich gemacht, wie wichtig es ist, aktiv zu zeigen, dass demokratische Bewegungen im Europäischen Parlament und überhaupt in europäischen Institutionen verlässliche Partner finden.
Es heißt übrigens, in Bukarest gebe es mit das schlimmste Verkehrschaos unter Europas Hauptstädten. Nun bin ich ja aus Brüssel einiges gewohnt. Ein Verkehrschaos habe ich in Bukarest nicht erlebt, weil noch Schulferien waren. So wie es aussieht, wird sich schon noch die Chance ergeben zu sehen, wie schlimm es wirklich ist. Und vielleicht machen wir dann auch eine Diskussionsveranstaltung zu ökologischem Stadtverkehr. Die USR-Ökoleute sind sehr interessiert.
Sonst noch
- Diese Woche findet in Madrid – nach Dublin, Kopenhagen, Graz und zweimal Brüssel – das mittlerweile sechste European Ideas Lab statt. Hier könnt Ihr Euch das Programm anschauen.
- Am Wochenende findet die Wahl in Schweden statt. Die grüne Partei Schwedens, die ja an der Regierung ist, schien lange Zeit an der 4% Hürde zu scheitern, und hat jetzt auf den letzten Metern einen Aufschwung bekommen wegen der Klimadebatte (Waldbrände!). Vielleicht kommt sie nah an ihr bestes Ergebnis von 6.9% heran.
- Am vergangenen Freitag fand die LDK unserer grünen Freundinnen und Freunde in Sachsen statt, wo ich abends ein bisschen über Europa reden durfte.
- Letzten Samstag war ich bei der Zukunftstour in Mecklenburg-Vorpommern. Es ging um Wasserstoff-Technologie und gab eine außerordentlich starke Resonanz mit über 50 Teilnehmern.
- Bei meiner Arbeit im Europäischen Parlament habe ich mich diese Woche auf zwei wichtige Programme für das nächste Forschungsprogramm der EU (2021-2027) konzentriert: am Dienstag habe ich als Vizepräsident der SME-Intergroup eine Veranstaltung zu „Horizon Europe – what’s in it for SMEs?“ organisiert, an der auch die Bundestagskollegin Anna Christmann teilnahm. Und in dieser Woche muss ich auch meine Anträge zum ‚Digital Europe Programme‘ einreichen, für das ich Schattenberichterstatter bin. Mal sehen, was insgesamt daraus wird.