Mit den Bildern aus Prag und Bratislava begann im August 1968 meine Politisierung. Ich war 11 Jahre alt und habe mir zum ersten Mal überregionale Zeitungen gekauft, um zu sehen und zu verstehen, was in der Tschechoslowakei passiert. Die schwarz-weiß-Bilder waren eindeutig: eine Reformbewegung wurde mundtot gemacht, Bürgerprotest von Panzern überrollt. Die Sowjetmacht zeigte unverhohlen ihr hässliches Gesicht. Die Bilder vermittelten aber auch die Macht der Ohnmächtigen. Über den Zorn und das Mitgefühl hinaus vermittelten die Fotos auch eine Ahnung: das kann nicht das letzte Wort der Geschichte sein. Im Herbst 1989 erinnerte ich mich wieder daran. Damals stand der Wenzelsplatz für den Triumph der Idee von Demokratie und Europa. Bis heute stehen die Bilder von 1968 für die Kraft der Schwachen. Mutige Reporter und Fotografen haben das Ereignis festgehalten. Die Saat ging auf – Jahrzehnte später. Trotz aller Irritationen der jüngsten Zeit müssen wir Tschechen, Slowaken, Ungarn und Polen für Ihren Mut in der Zeit der Teilung Europas dankbar bleiben.
Peter Frey, geboren 1957, ist seit 2010 Chefredakteur des ZDF.