No. XIV Michael Daxner, Österreich

Prag, Anfang August. Smrkovsky kommt von Cierna nad Tissu. Hunderttausend warten auf dem Altstädter Ring. Er redet wie im Schauprozess. Alle wissen es, es ist keine Ahnung mehr: der Frühling ist vorbei. Die Russen kommen.

Als wir, spät, ins Hotel kamen, wartet der Spitzel auf uns, der uns schon drei Tage begleitet hatte: fahren Sie besser jetzt sofort nach Hause. Wir fuhren im Morgengrauen und waren zu Mittag wieder in Österreich. Kurz darauf kam der Einmarsch.

Die Tage in Prag waren angespannt, spannend, und leider steht in meinem Tagebuch zu viel politische Überlegung, zu wenig Bericht vom Pulsschlag der Befreiung, auf den die Freiheit nicht folgen sollte.  Der Spitzel hatte uns wunderschöne Privatsammlungen und Kulturgüter gezeigt und wollte uns immer von den politischen Schauplätzen fernhalten. Ein alter Mann.

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Viele der Reformer der CSSR kannte ich aus den Diskussionen im Neuen Forum von Günther Nenning in Wien, wo sich der dissidente demokratische und intellektuelle Osten traf vor allem aus Polen und der Tschechoslowakei. Für mich war das wichtiger als die deutscher 68er Bewegung und sollte es bleiben. Machovec, Kolakowski, Prucha, und immer wieder Bloch, Marcuse, auch Doderer und Illich. Mit dem vorbereitet und gerüstet, war ich im August 1968 mit meinem Mentor und früheren Lehrer Meissner nach Prag gefahren, die Veränderungen auch wahrzunehmen, nicht nur erlesen.

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Nach dem Einmarsch Frost. Bernhard Frankfurter und ich wurden zur Polizei vorgeladen, weil wir den Ostbotschaftern Protestbriefe gegen den Einmarsch übergeben hatten. Wien war für einen Augenblick die Hauptstadt des Frühlingsexils. Für mich bedeutete das auch, dass das menschliche Antlitz den Sozialismus nicht so sehr brauchte.

Michael Daxner, Jg. 1947, von Wien nach Deutschland, von der Pädagogik zur Konfliktforschung, von der SPÖ zu den Grünen. Heute Schwerpunkte Afghanistan, Flüchtlinge, Veteranen und eben Konflikte.