No. III Lukas Beckmann, Deutschland
Nichts hat mich – bis zum Ausbruch der Balkankriege in den 90ern – politisch so wachgerüttelt wie der Prager Frühling und sein Ende. Ich war 17, im zweiten Ausbildungsjahr als Landwirt: Am frühen Morgen wurde ich von Steinchen am Fenster geweckt. „Die Russen sind in Prag“ rief mir mein Nachbar Fritz E. zu. Im Kuhstall verfolgte ich am Radio die weiteren Nachrichten. Ein Schock! Ich hatte mit dem Prager Frühling eine Hoffnung verbunden, die sich für mich weder kommunistisch noch kapitalistisch anfühlte. Dabei hatte ich noch nie ein Buch über politische Systeme gelesen. Sicher war ich beeinflusst von spät zurückgekehrten Soldaten unseres Dorfes aus sowjetischer Gefangenschaft und von heftigen Diskussionen über die Folgen vom „Mansholt-Plan“ (1968) über eine gemeinsame Agrarpolitik der EWG und seine existenziellen Auswirkungen auf kleinere Betriebe.
Während meines Soziologiestudiums und in den ersten Berufsjahren traf ich einige der führenden Köpfe des Prager Frühling – u.a. Ota Sik (1968 Wirtschaftsminister, später Prof. an der Uni in St. Gallen), Jiri Pelikan (Direktor der Rundfunk- und Fernsehanstalten und später Mitglied des EP aus Italien) und besuchte Vaclav Havel Mitte der 80er Jahre in Prag.
Im Mittelpunkt meiner Diplomarbeit in Soziologie stand das Verhältnis von Arbeit, Einkommen und Eigentum. Sie war Ende Juli 1978 fertig, jedoch gab ich sie bewusst erst am 21. Aug ab. Mein Betreuer war Prof. Vaclav Lamser, 1968 an der Karlsuniversität, später Mitunterzeichner der Charta 77. Er erhielt eine Ausreisegenehmigung für die Harvard University, konnte danach nicht in sein Land zurück und wurde Prof. für Soziologie in Bielefeld. Dass ich die Grünen seit ihren Anfängen als eine gesellschaftsökologische Partei verstehe, hat viel mit dem Prager Frühling zu tun und relativ wenig mit den 68ern im Westen.
Lukas Beckmann (geb. 1950), selbständig, Mitgründer der Grünen und der Heinrich-Böll- Stiftung, Aufsichtsratsvorsitzender der Correctiv gGmbH