Auf der letzten Strecke vor der Sommerpause wird die Dichte der politischen Arbeit ganz besonders groß. So war das bei mir auch diese Woche, in der neben der parlamentarischen Arbeit – so haben wir im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten den Bericht zum Stand der EU-China-Beziehungen mit 43 Ja-Stimmen (bei 9 Gegenstimmen und einer Enthaltung) abgestimmt – auch fünf Veranstaltungen auf der Agenda standen. Dabei war China dreimal vertreten. Einmal bei einer von der Körber-Stiftung in Hamburg organisierten Veranstaltung, bei der ich mit Prof. Wang Yiwei von der Renmin Universität über das Thema “Muss Deutschland sich vor chinesischer Einflussnahme in Acht nehmen?” diskutierte. Ein weiteres Mal bei einer Frühstücksdebatte im Europäischen Parlament mit Ivana Karásková zum Thema “Central Europe for Sale: The Politics of China’s Influence.”. Und einmal bei der Böll-Stiftung zum Thema ” Sicherheit in Fernost in Zeiten von America First und Chinas Aufstieg zur Weltmacht”, welches gemeinsam mit dem ECFR organisiert wird.
Ich bin der Meinung, dass Deutschland und Europa sich zwar in Acht nehmen müssten, aber nicht von Sorgen, Pessimismus, Hysterie und Kleinmütigkeit auffressen lassen dürfen. Es hat vielleicht etwas lange gedauert, aber Europa lernt an verschiedenen Stellen gerade, wie der chinesischen Herausforderung mit dem Willen zur Kooperation, aber auch mit Klarheit in der Vertretung der eigenen Werte und Interessen und mit Selbstbewusstsein zu begegnen ist. Dazu habe ich den folgenden Artikel geschrieben, der auf der Böll-Website zum ersten Mal erschienen ist:
40 Jahre nach dem Beginn der von Deng Xiaoping initiierten Politik der Reformen und Öffnung zur Welt, ist in einer beispiellosen Entwicklung China von einem ehemaligen Armenhaus zu einer globalen Supermacht geworden. Lange Zeit folgte die chinesische Führung dabei dem von Deng ausgegebenen Rat, das Land solle seine außenpolitischen Ambitionen zurückstellen, strategische Bescheidenheit an den Tag legen und keine Führungsrolle anstreben. Durch diese Orientierung wollte Deng ein möglichst reibungsarmes Umfeld für den strategisch entscheidenden wirtschaftlichen Aufstieg gewährleisten. Im Westen herrschte in dieser Phase die Erwartung vor, es werde mittelfristig zu einer Konvergenz zwischen China und den westlichen Marktwirtschaften kommen, sowohl in Bezug auf die wirtschaftliche als auch auf die politische Ordnung.
Entsprechend wurde China 2001 in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen. China sollte sich zu einem „responsible stakeholder“ der internationalen Ordnung entwickeln und dabei schrittweise mehr globale Verantwortung übernehmen, wie es der ehemalige Weltbankpräsident Bob Zoellick formulierte. Noch 2009 beim gescheiterten Kopenhagener Klimagipfel, beklagte sich das außenpolitische Establishment Chinas, das Land werde durch die Erwartungen seiner internationalen Partner überfordert. Es würde am liebsten eine Weile noch die Rolle einer Regionalmacht spielen und nicht in zu viel globale Verantwortung hineingezogen werden. Doch Kopenhagen erwies sich als Wendepunkt. „Wir wollen nicht, aber wir müssen eine globale Rolle annehmen.“, so resümierte 2010 der Leiter eines berühmten Shanghaier Thinktanks.
Der chinesische Präsident Xi Jinping verpasste Pekings Außenpolitik dann gleich bei seinem Amtsantritt 2012 neue Vorzeichen. An die Stelle von kalkulierter Zurückstellung trat demonstratives Selbstbewusstsein. Als 2015 bei einer Veranstaltung der Körber-Stiftung in Peking der ehemalige Außenpolitik-Zar der chinesischen Regierung, der Diplomat Dai Bingguo, noch einmal mit Argumenten aus dem Rüstzeug der Deng-Periode für Chinas internationale Ordnungsvorstellungen warb, bezeugten die jüngeren chinesischen Teilnehmer zwar sehr viel Respekt vor dem alten Herren, aber ließen zugleich erkennen, dass der aus ihrer Sicht für eine längst vergangene Ära sprach.
Heute lässt die chinesische Führung gar keinen Zweifel: China will nicht nur Weltmacht sein, sondern Supermacht. China will führen. China will seine Ordnungsvorstellungen so weit wie möglich durchsetzen. Dabei tritt das Land manchmal durchaus geschickt und flexibel auf, manchmal schwingt es auch den Holzhammer. Man könnte das chinesische Vorgehen unter dem Motto zusammenfassen: „So viel multilaterale Einbindung wie nötig, so viel eigener Führungsanspruch wie möglich“. Da China sich selbst viel zutraut, die USA als absteigende Macht betrachtet, Russland nicht für ebenbürtig hält und die EU in vielen Fragen als wenig einig erlebt, nimmt Chinas pralles Selbstbewusstsein immer öfter sehr handfeste Ausmaße an. „Früher klagten Chinesen oft“, sagte ein europäischer Diplomat, „man solle sie doch nicht mit westlicher Anmaßung belehren. Und oft hatten sie recht. Doch heute scheint ihr Leitsatz zu sein: Don’t teach us, we teach you.“
In einem Dokument unter dem Titel „Beijing Initiative“, das die chinesische Führung Ende 2017 publizierte und das sie als Ergebnis der Beratungen mit über 600 Vertretern sehr vieler Parteien aus der ganzen Welt ausgab, ohne dass irgendeiner dieser ausländischen Teilnehmer bei der Formulierung beteiligt gewesen wäre, wird in außerordentlich aufschlussreicher Weise so getan, als könne China heute schon stolz verbuchen, dass zahllose internationale Partner eigentlich nur darauf warteten, dass die KP Chinas der Welt die Richtung weise. Xi Jinping hat für Chinas Führungsanspruch eine Formel geprägt. Diese heißt, China wolle eine globale „community of common destiny“ entwickeln. Der Begriff unterstellt, dass es die Aufgabe Chinas sei, seine internationalen Partner dafür zu gewinnen, die von China definierte „Schicksalsgemeinschaft“ unter die Führung des unvergleichlichen Xi Jinping zu stellen. Menschenrechte und Freiheit haben in dieser Vision selbstverständlich keinen Platz.
Mit Chinas Aufstieg hat sich dort der Blick auf die Welt, die Richtung, die Schlagzahl, die Ambition anders entwickelt, als es die meisten Beobachter in Europa oder den USA erwartet hätten. In den USA hat man daraus im letzten Jahr parteiübergreifend den Schluss gezogen, China nicht mehr als Partner, sondern als „competitor“ zu sehen. In dem Wort stecken sowohl der Wettbewerber als auch der Gegner – ein Bruch mit einer langen Tradition demokratischer wie republikanischer Regierungen seit der Zeit von Richard Nixons.
Europa tut sich indes schwer eine gemeinsame Position zu finden. Es gibt seit zwei Jahren – zumindest auf dem Papier – eine solide Chinastrategie der EU. Faktisch existiert jedoch keine zusammenhängende Chinapolitik der EU-Mitgliedsländer. Doch die EU lernt dazu. Neue Regelungen gegen chinesische Dumpingexporte waren ein erster Schritt. Verhandlungen um eine europaweite Kooperation bei der Überprüfung sensibler Direktinvestitionen, insbesondere aus China, wurden erst vor Kurzem von Frankreich, Deutschland und Italien initiiert und sollen bis Ende 2018 abgeschlossen werden. Die ursprünglich blauäugige Reaktion aus Brüssel auf Chinas Seidenstraßenprojekt ist zunehmend einer Nüchternheit gewichen, mit der die außerordentlich großen geostrategischen Risiken dieses Vorhabens reflektiert werden. Anhand der Erfahrung mit dem 16+1-Format, einem Kooperationsmechanismus, mit dem China seit einigen Jahren versucht 16 ost- und südosteuropäische Länder stärker an sich zu binden, darunter 11 EU-Mitgliedsstaaten, muss die EU zur Kenntnis nehmen, dass China willens ist, Spaltungslinien systematisch zu nutzen, wo es sie findet. Mit der Forderung nach einer chinesischen Ein-Europa-Politik hat unter anderem der ehemalige Bundesaußenminister Gabriel versucht darauf hinzuweisen, dass China hiermit gegen ein Kerninteresse der Europäischen Union verstößt.
Doch Brüssel bleibt erfreulicherweise nicht beim defensiven Reagieren stehen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schlug im letzten Jahr vor, die europäische Konnektivitätspolitik nach Osten durch einen entsprechenden Fonds zu unterstützen. Verstärkte europäische Bemühungen um die Intensivierung von Handels- und Investitionsbeziehungen mit asiatischen Staaten sind offenkundig, insbesondere seitdem die USA aus der ursprünglichen transpazifischen Partnerschaft ausgestiegen sind. Und zuletzt beschloss der Europäische Rat bei seiner 3621. Sitzung am 28. Mai 2018 Schlussfolgerungen zum Thema einer verstärkten EU-Sicherheitskooperation in und mit Asien. In insgesamt 8 Punkten wird dort eine breit angelegte Agenda der Sicherheitskooperation aufgegliedert, die, falls sie realisiert wird, eine ganz neue Rolle der EU in asiatischen Zusammenhängen prägen wird. Das ist himmelweit entfernt von der Position, mit der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen noch 2015 beim Shangri-La-Dialogforum die Europäer als „normative Macht“ präsentieren wollte. Es ist erfreulicherweise aber auch nicht verunreinigt von dem Gerede von einer „Supermacht Europa“, das man in Brüssel, leider auch von Federica Mogherini, viel zu oft hört. Die neue Ambition heißt: „Der Rat bekräftigt, dass die EU ein fundamentales Interesse hat an der Kooperation mit Partnern weltweit, einschließlich in Asien, um ihre Bürger zu schützen, die fundamentalen Werte zu verteidigen, auf die die Union gegründet ist, einschließlich des Schutzes der Menschenrechte, das internationale System des Herrschaft des Rechs aufrechtzuerhalten, den Multilateralismus zu befördern, zu regionaler Stabilität beizutragen, gewaltsame Konflikte zu verhüten und die Wirtschaftsinteressen der Union zu sichern.“
Offenkundig vermeidet das Ratsdokument bestimmte sensible Stichworte. Das Südchinesische Meer, welches China immer weiter militarisiert, wird nicht ausdrücklich erwähnt, wohl aber Freedom of Navigation sowie die UN-Seerechtskonventionen. Das ist jeweils kodierte Sprache für die europäische Opposition gegen Chinas Ansprüche im Südchinesischen Meer. Während der Rat neben China Indien, Japan und Südkorea als strategische Partner der EU benennt, hat er es leider versäumt, den Ansatz einer strategischen Partnerschaft mit ASEAN energisch weiterzuverfolgen. Das Dokument nimmt auch nicht Stellung zur Entwicklung einer verstärkten indopazifischen Kooperation zwischen den USA, Indien, Japan und Australien, die sich gegenwärtig unter dem Namen „Quad“ entwickelt. Trotzdem ist das Signal des Dokumentes eindeutig: die Europäer beginnen zur Kenntnis zu nehmen, dass sie nicht ferne, zwar interessierte, aber wenig engagierte Beobachter der asiatischen Entwicklungen bleiben können, wenn sie auf die dortigen Verschiebungen und insbesondere den schnellen und machthungrigen Aufstieg Chinas angemessen reagieren wollen.
Der Weg von einem ersten Ratspapier zu realer Politik ist natürlich noch sehr lang und man kann sich dort leicht verirren. Aber es ist gut, dass die EU sich aufmacht.
Sonst noch
- Am Montag war ich in Warschau bei einer Veranstaltung zum Thema “Perspectives of Germany and Poland on the Future of Gas in Europe“. Der “Elefant im Raum” war natürlich die umstrittene Nord Stream 2 Pipeline.
- In Warschau konnte ich auch ein Gespräch mit der polnischen Rechtsanwältin Paulina Kieszkowska-Knapik über die bedrohte Unabhängigkeit der polnischen Gerichte führen. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, war auch in Polen, ist aber nicht vorangekommen. Ohne mehr Unterstützung aus den Mitgliedsstaaten wird es schwer sein, der polnischen Regierung klar zu machen, dass wir nicht mit nur ein bisschen Rechtsstaatlichkeit zufrieden sein können.
- Am Dienstag haben wir im Industrieausschuss über das Trilogergebnis zu EDIDP (dem europäischen Verteidigungsprogramm) abgestimmt. Mit 47 Stimmen (Gegenstimmen 11, Enthaltung 1) wurde für den Vorschlag der Berichterstatterin Grossetête (EVP) gestimmt – und damit vor dem Rat gekuscht!
- Am letzten Wochenende hatten wir EGP Klausurtagung. Dabei haben wir den Kampagnenplan für die Europawahlen diskutiert und intensiv über die Prioritäten geredet.
- Am Mittwoch lud ich zur Präsentation der von mir in Auftrag gegebenen Studie “The Europeanisation of National Parliaments in European Union Member States: Experiences and Best Practices” ein. Die Studie untersucht die Beteiligungsmöglichkeiten und die Beteiligungspraxis der Mitgliedsländer-Parlamente an europapolitischen Prozessen. Nachdem die Autorinnen ihre Studie vorstellten, kommentierten Klaus Welle (Generalsekretär des Europaparlaments), Paulo Rangel MdEP, Anthony Agotha (Kabinett Timmermans) und Peter Müller (SPIEGEL-Korrespondent) die Ergebnisse aus ihrer Sicht. Am 02. Juli werden wir die Studie auch in Berlin vorstellen.