Drei industriepolitische Veranstaltungen hatte ich in dieser Woche. Eine mit der Wirtschaftsvereinigung Metalle zur Vorstellung einer Studie über die Auswirkungen Trumpscher Sonderzölle auf die deutsche und europäische Aluminiumindustrie. Eine mit Experten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zu Forschungsprioritäten im Bereich Brennstoffzellen-/Wasserstofftechnologie. Und eine auf Einladung des Stahlverbandes Eurofer zum Thema CO2-neutrale Stahlindustrie. Es war insgesamt eine bemerkenswerte Reise durch eine politische Landschaft, die viel weniger europäisch gemeinsam und zielgerichtet gestaltet wird, als es nötig wäre, um eine gute Zukunft für die europäische Industrie zu sichern.
Beim Mittagessen des Europäischen Stahltags von Eurofer sollten Stahl-CEOs und europäische Politiker aufeinandertreffen. Außer mir war noch die stellvertretende Generalsekretärin der Generaldirektion Forschung und Innovation anwesend sowie ein italienischer Christdemokrat. Denen, die nicht gekommen waren, entging das Vergnügen, zu hören, wie Axel Eggert, der Generalsekretär von Eurofer, in seiner Keynote immer wieder von der künftigen CO2-Neutralität des Stahlsektors sprach. Als er diesen Ausdruck zum ersten Mal verwendete, war ich verblüfft, beim zweiten Mal war ich erfreut, und beim dritten Mal konnte ich einen stolzen Zwischenruf nur mit Mühe unterdrücken. Nach seiner Rede sagte ich zu Eggert, dass er diese vor drei Jahren so nicht hätte halten können. Er grinste mich an und erwiderte, das stimme wohl, aber die Stahlindustrie lerne eben auch dazu! Natürlich war an dem, was da präsentiert wurde, viel Zukunftsmusik, aber gleichzeitig verwies die Präsentation auf acht zentrale Projekte CO2-neutraler Stahlproduktion, die entweder schon laufen oder dieses Jahr anlaufen werden. Darunter ist etwa das Hybrit-Projekt aus Schweden. Die Hybrit-Stahlerzeugung auf Wasserstoffbasis hat als Nebenprodukt kein CO2 mehr, sondern Wasser. Roll-out für die Projekte soll Anfang bis Mitte der Dreizigerjahre sein. Vielleicht sind diese Zukunftspläne zeitlich und überhaupt nicht ehrgeizig genug. Ganz sicher geht es bei so einem Vortrag auch sehr stark um Imagepflege. Aber entscheidend ist dies: Solch eine Zukunftsorientierung galt in der Stahlbranche noch vor kurzer Zeit als Spinnerei. Ich erinnere mich an zahlreiche Streitgespräche, in denen es stereotyp hieß, die CO2-Einsparungspotenziale seien jetzt endgültig ausgereizt; jetzt sollten die Ökologen endlich einmal Ruhe geben; gegen die Physik komme man nun einmal nicht an. Jetzt wollen die selber Grünen Stahl! Ich fühlte mich bei dieser Eurofer-Veranstaltung nicht fehl am Platze. Tun wir als Grüne genug, um eine Industriepolitik zu formulieren, die eine solche Transformation vorantreibt? Dass man eine Industriepolitik brauche, war bei mir am Tisch nicht streitig. Auch das ist eine Entwicklung der letzten Zeit. Da spielen Entwicklungen in Asien und in den USA sicherlich keine geringe Rolle. Früher hätte man mit der Forderung nach Industriepolitik als Kryptokommunist oder französischer Etatist gegolten. Heute geht die Debatte darum, wie eine solche Industriepolitik aussehen soll. Dass sie ordoliberal basiert sein soll. Dass sie nicht rein sektoral, sondern horizontal sein soll. Dass sie nicht national, sondern europäisch sein muss! Der Ort in Europa, wo das wahrscheinlich am wenigsten verstanden wird, befindet sich in Berlin an der Invalidenstraße. Im Wirtschaftsministerium.
Die Notwendigkeit europäischer Industriepolitik war auch Thema bei der Veranstaltung zur Wasserstofftechnologie, die gezielt im Umfeld der Veröffentlichung des neuen Forschungsrahmenprogramms der EU („Horizon Europe“) angesiedelt war. Bei der Wasserstofftechnologie ist Europa in etlichen Bereichen führend: bei Elektrolyse, bei Hochtemperaturelektrolyse, bei Brennstoffzellenstapeln, bei Wasserstoffbussen, bei Wasserstoffbetankungsstationen und bei Festoxidbrennstoffzellen. Doch die Betankungsstationen werden mehr nach USA, Japan und Korea exportiert, als hier in Europa eingerichtet. Bei den Wasserstoffbussen baut China gerade in sechs Monaten eine Fabrik, die 6.000 solcher Busse im Jahr herstellen kann, während europäische Hersteller, die es durchaus gibt, gerade mal eben auf 50 bis 100 pro Jahr kommen. Europaweit laufen derzeit 300 solcher Busse. Deutsche Automobilunternehmen glänzen mit Abwesenheit. (Wahrscheinlich sollte man besser die Deutsche Post fragen, ob sie sich engagieren will.) Pro Jahr gibt Europa – Staat und Industrie – etwa 300 Millionen Euro für die Wasserstoffentwicklung aus. Das entspricht ungefähr den Ausgaben in den USA und in Japan. China, das in diesem Bereich hintendran ist, gab allein 2017 1,4 Milliarden Dollar dafür aus. Gibt es eine europäische Strategie? Ist es nicht so, dass zumeist Wasserstofftechnologie fälschlicherweise vor allem mit dem Automobilsektor assoziiert wird? Kann Europa, anders als im Bereich der Batterietechnik, die Wasserstoff-Supply-Chain sichern? Ein „Fuel Cells and Hydrogen Joint Undertaking“ auf europäischer Ebene funktioniert gut. Aber funktioniert der Technik-Roll-out?
Bei der Aluminiumveranstaltung ging es um die Vergegenwärtigung der industriellen Risiken, die sich aus der Kombination von dramatischen chinesischen Überkapazitäten mit rabiater US-amerikanischer Handelspolitik ergeben. Wie kann die EU eine europäische Industriepolitik im Außenhandelsbereich absichern? Wie gehen wir europäisch damit um, dass die EU-Mitgliedstaaten natürlich höchst unterschiedlich von diesen Herausforderungen von außen betroffen sind? Wie vermeiden wir, dass die EU unter Außendruck industriepolitisch auseinanderfällt?
Ich bin seit längerem davon überzeugt, dass Europas Industrie nur eine Zukunft hat, wenn sie Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis von Nachhaltigkeit entwickelt. Das war schon die Kernthese meines industriepolitischen Berichtes im Europäischen Parlament vor fünf Jahren. Man kann nun sehen, dass diese Grundthese anfängt, sich in der Industrie selbst zu verbreiten. Die andere Hälfte meiner These war, dass auch wir Grüne für die ökologische Transformation die Industrie brauchen. Das könnten wir durchaus stärker thematisieren und in unserer praktischen Politik deutlich machen. Ich bin fest davon überzeugt, dass in diesem Bereich enorm viel politischer Platz ist, weil andere Parteien ihn sträflich vernachlässigen. Das können und sollten wir nutzen.
In meinem industriepolitischen Bericht hatten wir dafür ein schönes Akronym: RISE. Das stand für: Renaissance of Industry for a Sustainable Europe.
Sonst noch
- Deutsche, polnische und europäische Grüne gemeinsam: Offener Brief an Frans Timmermans zur polnischen Justizreform.
- „Steel crisis requires multilateral answers“, mein Beitrag in „The Parliament Magazine“.
- Der Streit wegen Trumps Handelspolitik geht unvermindert weiter. Dazu werde ich in einem Artikel der WELT ausführlich zitiert.
- Das Eilverfahren, mit dem der NABU Klage gegen den Bau von Nord Stream 2 eingereicht hatte, ist vom Oberverwaltungsgericht Greifswald abgelehnt worden. Das Gericht hat sich die Sache sehr einfach gemacht.
- Die nächste Woche ist eine Straßburg-Woche, viele Themen stehen auf der Agenda: Atomabkommen mit dem Iran, Kohäsionspolitik und Kreislaufwirtschaft, Fälle von Verletzungen der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, WWU-Paket und mehr. Außerdem wird mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte ein weiterer Regierungschef im EP zur Zukunft der EU sprechen.