Wie kritische Infrastruktur und Schlüsseltechnologien schützen, ohne willkommene Investitionen zu behindern? Braucht Europa eine gemeinsame industriepolitische Strategie? Diese beiden Fragen standen im Mittelpunkt des gemeinsamen Fachgesprächs der grünen Bundestagsfraktion und der Grünen/EFA Fraktion im Europäischen Parlament am 07.03.18.
Den konkreten Anlass bot der von der EU-Kommission im letzten Herbst vorgelegten Vorschlag für einen europäischen Prüfrahmen für ausländische Direktinvestitionen. Befeuert wurde die Diskussion durch schlagzeilenträchtige Einkaufsversuche bei Cotesa und 50 Hertz, die vor dem Hintergrund der chinesischen „Made in China 2025“-Strategie besonders kritisch beäugt werden – und nicht zuletzt durch die „America first“-Politik von US-Präsident Trump, bei dem der Protektionismus fröhlichen Urstand feiert.
Sachkundige Expertise wurde eingebracht von Franck Proust MdEP, Berichterstatter im Handelsausschuss (INTA), Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, und von Etienne Oudot de Dainville, dem Leiter der Finanz- und Wirtschaftsabteilung der französischen Botschaft in Deutschland.
Zur Kommentierung waren Dr. Stefan Mair, Mitglied der Hauptgeschäftsführung Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), und Wolfgang Lemb, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, eingeladen. Auf grüner Seite diskutierten die Abgeordneten Kerstin Andreae MdB, Katharina Dröge MdB und Reinhard Bütikofer MdEP.
Den grünen Grundton gab Kerstin Andreae in ihrer Einführung an: Frei, offen und transparent – so soll der Handel weltweit aussehen und so soll auch investiert werden können. Denn Investitionen seien wichtig für Innovation und Beschäftigung. Andererseits zeigten aktuelle Fälle, dass nicht immer klar werde, welche Strategien, Absichten oder Personen hinter einer Investition steckten. Die Lösung: Mehr Transparenz und klug ausbalancierte Prüfsysteme in Deutschland und Europa, die sich auf die wirklich kritischen Investitionen beschränken. So könne den Befürchtungen vor Abfluss von Know-how, dem Verlust von Produktion, Forschung und Beschäftigung entgegengewirkt werden.
Im ersten Block stellte Franck Proust den Kommissions-Vorschlag vor. Er kennzeichnete ihn als ausgewogen und betonte, dass auch mit dem vorgeschlagenen Dialogverfahren die letztliche Entscheidung bei den Mitgliedsstaaten verbleiben soll. Ziel sei es, europaweit mehr Transparenz herzustellen (zum Beispiel zur Frage, wer investiert) und politisch-strategische Investitionen ins Visier zu nehmen – also Investitionen, die beispielsweise mit staatlichen Mitteln erfolgen oder die den Zugriff auf sensible Infrastrukturen wie Energienetze oder sicherheitsrelevante Bereiche erlauben.
Dass es solche Entwicklungen gibt, bestätigte Matthias Machnig. Deutschland hat seine Prüfmöglichkeiten daher bereits erweitert, sieht allerdings darüber hinaus die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Vorgehens. Anderenfalls könnten nationale Regelungen schnell ins Leere laufen. Auch die vom Europarecht vorgegebene enge Auslegung des Sicherheitsbegriffs sei ein Impuls gewesen, eine europäische Regelung anzustreben. Nur 13 Mitgliedsstaaten hätten nationale Regelungen zur Prüfung von ausländischen Direktinvestitionen, aber alle sähen die Herausforderung. Über die Frage der Gegenseitigkeit (Reziprozität) bei ausländischen Direktinvestitionen müsse weiter gesprochen werden. Insofern hoffe er auf einen baldigen Beschluss auf Europaebene. Die Bulgarische Präsidentschaft und EU-Kommissarin Malmström strebten dies auch an. In Bezug auf die deutsche Regelung sei es zweifelhaft, ob die derzeitige Aufgriffsschwelle in der Außenwirtschaftsverordnung mit 25 Prozent sinnvoll festgelegt sei.
Auch Frankreich unterstützt den europäischen Vorstoß, bestätigte Etienne Oudot de Dainville. Es stärke die Zusammenarbeit und schaffe klare Rahmenbedingungen für Mitgliedsstaaten und Investoren. Oudot verwies auf die Erfahrungen mit dem französischen Prüfsystem, das keine negativen Effekte auf das Investorengeschehen in seinem Land gehabt habe.
Kritischer beurteilte Stefan Mair die Debatte. Er habe zwar weniger Bedenken gegen den Kommissions-Vorschlag, merkte aber an, dass es die Tendenz gäbe, mit staatlichen Eingriffen auf staatskapitalistischen Wettbewerb zu reagieren. Zudem sei es schwierig, Schlüsseltechnologien oder sensible Sektoren sauber und rechtssicher zu definieren. Die Wirtschaft sei nicht naiv. Besser als ordnungspolitische Eingriffe und „quick fixes“ seien betriebswirtschaftliche Reaktionen auf strategische Eingriffsversuche von außen, also z.B. Diversifizierung. Wolfgang Lemb hingegen begrüßte das vorgeschlagene Prüfsystem. Zwar seien bisher auch auf Arbeitnehmerseite in Deutschland überwiegend positive Erfahrungen mit ausländischen Investoren gemacht worden, aber zuletzt hätte dieses Bild Kratzer bekommen. Daher sei auch die Diskussion um die Weiterentwicklung des Außenwirtschaftsgesetzes erforderlich. Lemb beklagte auch eine fehlende industriepolitische Strategie Deutschlands und Europas. Mit dieser Frage müsse sich dringend auseinandergesetzt werden.
In der von Katharina Dröge moderierten Diskussion wurden neben konkreten Fragen an den europäischen Vorschlag – läuft das Anhörungsrecht leer, wenn keine nationalen Regelungen existieren, gefährden längere Prüfverfahren Investitionsvorhaben und damit Innovation, ist die Verzahnung mit bestehenden Aufsichtsregimen geplant – überwiegend grundsätzliche Themen wie die Aufrechterhaltung der Kapitalverkehrsfreiheit angesprochen. Insbesondere über Definitionsfragen („Sicherheit“, „kritische Sektoren und Infrastruktur“) und die Frage nach einer europäischen industriepolitischen Strategie wurden lebhaft diskutiert.
In seinem Fazit bedankte sich Reinhard Bütikofer für kritische Nachfragen und die überwiegend positive Resonanz. Aus seiner Sicht sei deutlich geworden, dass trotz unterschiedlicher Positionen im Detail, die Notwendigkeit, aktiv zu werden, unbestritten sei. Auch er plädiere für eine vorsichtige Herangehensweise. Beispielsweise dürfe der Sicherheitsbegriff nicht zu weit gefasst werden; anderenfalls drohe eine nicht mehr handhabbare Regelung. Damit würde die eigentliche Absicht des Prüfsystems ins Gegenteil verkehrt. Der Gestaltungsanspruch der Politik beschränke sich aber nicht nur auf Zielformulierungen –die Schaffung guter Rahmenbedingungen und geeigneter Instrumente gehörten ebenso dazu. Dazu gehöre auch der europäische Prüfrahmen.