Auch wenn sich in Deutschland momentan sehr viele Blicke nach Berlin richten, wo die Sondierungsgespräche für eine mögliche „Jamaika-Koalition“ zwischen CDU/CSU, FDP und uns Grünen demnächst beginnen, so lohnt sich doch aktuell auch der erneute Blick in den Nordosten der Republik, genauer gesagt, nach Mukran in Mecklenburg-Vorpommern. Dort soll die neue russische Gaspipeline Nord Stream 2 anlanden. Von meiner Reise dorthin habe ich bereits hier berichtet – vor allem von meinem Eindruck, dass dort vor Ort Fakten geschaffen werden sollen.
Während sich nun einerseits die Stimmen mehren, dass der Bau unmittelbar bevor stünde, gibt es andererseits vier Entwicklungen, die dem entgegen stehen. Der Europäische Rat hatte seinen juristischen Dienst beauftragt zu prüfen, ob es in der EU eine Rechtsgrundlage gibt, auf deren Basis die Europäische Kommission für das Nord Stream 2 Projekt einen Rahmenvertrag mit Russland aushandeln kann. Der juristische Dienst des Rates kam zur gegenteiligen Auffassung. Auf über 20 Seiten begründete er sein ‚Nein‘. Danach stünde dem „rein kommerziellen Projekt“ Nord Stream 2 rechtlich nichts mehr entgegen. Zuvor hatte sich die Europäische Kommission seit Monaten darum bemüht, ein Mandat für einen Rahmenvertrag mit Russland von den Mitgliedsstaaten erteilt zu bekommen und war dabei vom eigenen juristischen Dienst im Sommer auch unterstützt wurden.
Doch Nord Stream 2 ist nicht durch. In Dänemark hat das Parlament gerade in erster Lesung ein neues Gesetz behandelt, wonach der Bau der Pipeline durch dänische Gewässer aus Gründen der nationalen Sicherheit untersagt werden kann. Das Gesetz hat eine breite politische Unterstützung und soll am 1.1.2018 in Kraft treten. Es sieht nicht so aus, als ob Nord Stream 2 durch dänische Gewässer gebaut werden könnte. Zum zweiten ist aus Washington zu hören, dass die vom Kongress beschlossenen Sanktionsmöglichkeiten gegen Nord Stream 2 nun auf den Weg gebracht werden sollen. Das würde für Unternehmen wie Shell oder die BASF oder Engie, die sich an Nord Stream 2 beteiligen wollen, erhebliche wirtschaftliche Risiken aufwerfen. Drittens irrt, wer meinte, dass die Kommission in Sachen Nord Stream 2 klein beigäbe. In einer Aussprache im Industrieausschuss des Europäischen Parlaments hat der zuständige Direktor der Generaldirektion Energie deutlich gemacht, dass man durchaus noch Klärungsbedarf und Bewegungsspielraum sieht. Ein wichtiges Element dabei ist die anstehende Revision der Gasdirektive, die ein für alle Mal Klarheit schaffen soll für Pipelines aus Drittstaaten, die in einem EU-Mitgliedsstaat anlanden. Ein erster Vorschlag der Kommission ist in der ersten Novemberhälfte zu erwarten.
Viertens, und damit sind wir wieder in Berlin, ist keineswegs sicher, dass eine künftige Bundesregierung in Sachen Nord Stream 2 einfach nur die Position der Großen Koalition übernehmen wird. Wir Grüne jedenfalls lehnen bekanntlich das Projekt Nord Stream 2 ab und haben das mehrfach sehr deutlich gemacht. Wir glauben, dass gerade angesichts unserer europäischen Anstrengungen für eine Energieunion, dieses Projekt verkehrt ist. Denn es bringt uns weder Diversifizierung der Energiequellen, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, noch hilft es dabei, unsere eigenen europäischen Energiequellen im Erneuerbarenbereich weiter auszubauen, um so – ein weiteres EU-Ziel – weltweit die Nummer eins bei den Erneuerbaren zu werden. Zudem würden wir uns über Gebühr von einem Handelspartner abhängig machen, der nicht immer fair spielt. Wir würden zudem unsere europäische Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, wenn wir dieses Projekt gegen die ausdrücklichen Interessen unserer europäischen Nachbarn im Osten von der Ukraine über die Slowakei und Polen bis ins Baltikum mit durchsetzen würden. Und wirtschaftlich muss man einfach mal festhalten: es gibt keinen Bedarf für zusätzliche Gasinfrastruktur in Europa.
Bei Nord Stream 1 wurden seinerzeit am Ende alle Einwände und Widerstände zur Seite geräumt, die Pipeline gebaut und liefert seither Gas nach Europa. Es ist nicht wahrscheinlich, dass das bei Nord Stream 2 genauso laufen wird. Die Auseinandersetzung dauert an. Oder, wie Yogi Berra sagte, „it ain’t over `til it’s over“.
Sonst noch
- An diesem Wochenende drücken wir zweimal unsere grünen Daumen: für die Grünen in Niedersachsen und für die Grünen in Österreich!
- In dieser Woche hat mich die Rheinische Post zu Macrons Europa-Rede und einer möglichen Jamaika-Koalition interviewt.
- Wir müssen den Einsatz von Glyphosat stoppen! Der US-Agrarkonzern Monsanto hat alles versucht, um die Gefahren, die mit dem glyphosathaltigen Herbizid Roundup verbunden sind, zu verdecken, und blieb der Anhörung am 11.10 im Europäischen Parlament fern. Mithilfe der „Monsanto Papiere“ konnte das Ausmaß der Risiken aufgedeckt werden. Hier ist das Video der Europagruppe Grüne zu diesem Thema.
- Am 01.09. und 11.09. erwähnte ich in der jeweiligen Bütis Woche bereits meinen „Entwurf für eine Stellungnahme zur Digital Trade Strategy“, den ich im Rahmen meiner Arbeit im ITRE-Ausschuss verfasst habe. Mit Kolleg*innen anderer Fraktionen des ITRE-Ausschusses habe ich nun am 10.10. diesbezüglich an Kompromissanträgen gearbeitet.
- Am 16.10. bin ich als Redner bei der Veranstaltung „Debating Asia #3: EU – ASEAN: Strengthening Regional Trade and Investment in the midst of Economic, Political and Strategic Shifts“ in Berlin zu Gast. Hier kann man sich für die Veranstaltung anmelden.
- Am 11.10. habe ich mit Cem Özdemir und interessierten Teilnehmer*innen im Rahmen der Online-Diskussionsreihe „Europe Calling“ von Sven Giegold über eine mögliche Jamaika-Koalition diskutiert.