Selten hat ein G20 Gipfel so viele Verlierer gesehen. Die Gastgeberin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, verlor gleich an zwei Fronten. Sie konnte die weitverbreitete Hoffnung, die neue Anführerin der freien Welt zu sein, nicht bestätigen. Sie ist offensichtlich weder stark, noch visionär genug, um diese Rolle einzunehmen. Führung ist nicht ihr Ding. Sie ist eine Moderatorin. Ihr wichtigster Beitrag bestand darin, 18 der 20 Teilnehmer zu überzeugen, nicht von dem Vertrag zurückzutreten, dem sie zwei Jahre zuvor zugestimmt hatten. Große Sache! Diese Art der Führung ist „dünn wie eine Wassersuppe, gemacht vom Schatten einer Taube, die Hungers starb“ (Abraham Lincoln). Zum anderen blamierte sie sich wegen des Tohuwabohu und Chaos auf Hamburgs Straßen. Präsident Trump verlor das letzte bisschen Respekt, welches er vielleicht noch genoss, da er darauf bestand kindische Spielchen zu spielen und sich aus der Klimadiskussion zu stehlen, wie ein 12-jähriger, der den Chemieunterricht schwänzt. Er verpasste sogar die offenkundige Gelegenheit, die Teilnehmer des G20-Gipfels in klarer Opposition zu den nordkoreanischen Provokationen zu vereinigen. Um es in Trumps Worten zu sagen: „Sehr schwach!“
Präsident Erdogan wurde zum Verlierer, als er erst die Erklärung unterschrieb, die dafür warb das Paris Abkommen weiter aufrecht zu erhalten, nur um sich wenige Stunden später selbst zu widersprechen. Aber noch nicht mal das brachte ihm den Titel des besten Wendehalses. In dieser Kategorie schlug ihn Trump, als er zuerst eine gemeinsame „Einheit für Cybersicherheit“ mit Präsident Putin verabredete, so als würde man eine „Einbruchssicherheitseinheit“ mit dem Einbrecher vereinbaren, nur um sich zwei Tweets später schon wieder davon zu distanzieren.
Putin sah sich wahrscheinlich als Gewinner des Ganzen. Das ist allerdings ein Missverständnis. Als er nämlich die Möglichkeit hatte, sich angesichts der Spaltung des Westens als verlässlichen Partner entweder der USA oder der EU anzubieten, entschied er lieber ultra-smart zu spielen und beide Seiten zu enttäuschen. Das zeigt, dass er ein unzuverlässiger Taktiker ist.
Die meisten anderen Staats- und Regierungschefs enttäuschten, verloren, da sie nicht Führung genug zeigten, um irgendetwas zu beeinflussen. Sie fallen in die „Ferner liefen“ Kategorie.
Drei Personen stachen allerdings besonders heraus: Präsident Macron stach heraus, da er den klugen Vorschlag unterbreitete, eine neue Klimakonferenz in Paris zu organisieren, um an der aktuellen Klimaagenda, die durch Präsident Trump und andere so schlimm beschädigt wurde, weiterzuarbeiten und neue Impulse zu geben. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stach heraus, da er Amerikas Drohung in Bezug auf Stahlimporte entgegen trat, indem er zum Ausdruck brachte, dass Europa vorbereitet wäre schnell zurückzuschlagen. Er hat dadurch zwar kaum alle zukünftigen Handelskonflikte abgewendet, jedoch war diese Art des Gegendrucks dringend notwendig. Und Präsident Xi stach heraus. Da er nichts tat. Er hat nur die strategische Geduld gezeigt, vor der wir alle mehr Angst haben sollten, als bisher der Fall ist. Er verstand dass, solange er nicht über seine eigenen Füße stolperte, alle Spaltungen und Widersprüche, die den G20 Gipfel mit prägten, Chinas Position letztendlich nur stärken konnten.
Der G20 Gipfel ist ein notwendiges und gleichzeitig unmögliches Format. Der G20 Gipfel reflektiert fundamentale Veränderungen in den globalen Machtverhältnissen und globalen Governance. Dieser G20 Gipfel war wie keiner zuvor, da er klar demonstrierte, dass die Vereinigten Nationen von Amerika von ihrer globalen Führungsposition zurückgetreten sind, die sie über fast 70 Jahre innehatten. Es zeigte auch, dass weder Deutschland, noch Russland, noch China fähig sind, in die Fußstapfen der USA zu treten. Klar wurde zugleich, dass man Führungspotential in Zukunft von zwei Seiten erwarten kann: Wenn Europa es schaffen sollte, sich zusammenzureißen und zumindest die Europäischen Institutionen, plus Frankreich, plus Deutschland auf die gleiche Tonart einzustimmen, dann könnte Europa Führung anbieten. Wenn Europa es nicht schafft, den Ausschlag zu geben, wird die Führungsrolle einfach mangels Alternativen China in den Schoß fallen. Aber, wer weiß, vielleicht vermag ja die binnenfokussierte Plutokratie, als die sich die Vereinigten Staaten präsentieren, – gegen Trump und nach Trump – sich durch demokratische Transsubstantiation selber zu regenerieren und den Westen und die globale Governance dazu.
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Sonst noch
- Diese Bütis Woche gibt es auch auf Englisch und ist hier zu finden.
- Vom 13.-16.07 werde ich am Deutsch Chinesisches Dialogforum in Potsdam teilnehmen. Am Freitag werde ich zum Thema ”Global governance – a role for Germany and China?” sprechen.
- Bundestagswahlkampf: Der letzte Termin war in Ludwigsburg mit Cem Özdemir und Ingrid Hönlinger, die nächsten Termine sind am 19.07 in Karlsruhe, dann am 20.07 in Freiburg und Haßfurt, am 21.07 in München und am 22.07 in Tübingen.
- Am kommenden Dienstag (18.07) werde ich in Brüssel an einer Konferenz der EU-High-Level Expert Group zum Thema Sustainable Finance teilnehmen. Hier der Ablauf.
- Der Spiegel berichtet über eine Auseinandersetzung die unsere Fraktion im Europäischen Parlament gegen die Umwidmung für Entwicklungshilfegeldern für militärische Zwecke führt. Hier der Bericht mit einem Zitat von mir.
- Seit Anfang Juli arbeitet Stella Versimer im Europabüro in Schwerin. Stella wird montags, dienstags und donnerstags von 09.30 – 17 Uhr unter der Nummer 0385 63 66 3004 erreichbar sein. Alle Kontaktdaten sind hier zu finden.