Das Europäische Parlament macht Druck auf die EU-Kommission, endlich eine umfassende Industriestrategie zu erarbeiten. Dazu meint Reinhard Bütikofer, industriepolitischer Sprecher der Grünen-/EFA-Fraktion im Parlament:
„Mit überwältigender Mehrheit hat das Europäische Parlament die Kommission in einer Resolution aufgefordert, eine umfassende Strategie für Europas Industriepolitik vorzulegen. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Positionsbestimmung nicht möglich gewesen, weil sie in zu vielen Hauptstädten als Bruch mit der reinen Lehre der Marktwirtschaft bekämpft worden wäre. Aber die Einsicht hat sich durchgesetzt, dass Europa auf eine gemeinsame Industriepolitik nicht verzichten kann, wo alle internationalen Konkurrenten von USA bis Fernost ihre jeweils eigene verfolgen.
Veränderungsdruck gibt es aus zwei Richtungen: durch die Digitalisierung, die alle Wirtschaftsbereiche ergreift, und durch verstärkten internationalen Wettbewerb, vor allem aus China. Das Europaparlament unterstützt mit seiner Forderung ähnliche Verlangen von fast 200 Industrieverbänden sowie vom Europäischen Rat.
Konkret muss sich Europas Industriepolitik zum Beispiel damit befassen, dass internationale Konkurrenz neue Wettbewerbsregeln erforderlich macht. Sonst dominieren ausländische Monopole zu leicht Europas Märkte. Industriepolitik muss sektorübergreifend handeln, statt verschiedene Branchen als getrennte Silos zu behandeln. Das gilt zum Beispiel für Chemie und Stahl. Industriepolitik muss für die Zielsetzung von Freihandelsabkommen Pate stehen, statt ihnen zum Opfer zu fallen. Bei TTIP zum Beispiel war die Kommission drauf und dran, die Interessen des europäischen Maschinenbaus zu opfern. Industriepolitik muss tatsächlich europäisch agieren und darf nicht zulassen, dass Regionen faktisch abgehängt werden. Sie muss Digitalisierung, Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft verbinden. Sie muss der Tendenz entgegenwirken, dass der Mittelstand durch die technologische Revolution in immer größere Abhängigkeiten getrieben wird. Sie muss sich auch darum kümmern, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Weiterbildung und Lebenslangem Lernen profitieren können. Industriepolitik muss Innovationsallianzen fördern und verhindern, dass etwa bei der Entwicklung einer kohlenstoffarmen Wirtschaft die langsamsten Spieler das Tempo diktieren.
Die Breite des Konsenses im Europäischen Parlament war bemerkenswert. Spätestens nach der Sommerpause, im Rahmen der Juncker-Rede zur Lage der Europäischen Union, muss die Kommission demonstrieren, dass und was sie liefern wird.”