Es ist noch einmal gut gegangen. Bei der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahl landete Emmanuel Macron, ein politischer Newcomer, mit 24 % vor der Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, die 21,3 % erzielte. Ist es wirklich gut gegangen?
Prognosen sagen Macron für die entscheidende zweite Runde einen sehr großen Vorsprung vor Le Pen voraus; mehr als 25% soll der Abstand derzeit betragen. Die Entscheidung am 07.05 scheint also nicht wieder eine Zitterpartie zu werden, wie beim Brexit-Referendum oder bei der Wahl Trump gegen Clinton. Doch gebietet die Vorsicht nicht voreilig zu triumphieren. Es gilt der Satz von Jogi Berra: ”It ain’t over till it’s over.”
Wenn man Gründe suchte sich Sorgen zu machen, würde man durchaus etliche finden. Ist es nicht ein schlechtes Omen, dass EU-Kommissionspräsident Juncker Macron zu seinem Erfolg im ersten Wahlgang ziemlich überschwänglich beglückwünschte, wenn man sich erinnert, dass Juncker in früheren Fällen bei seinen Einmischungen in nationale Wahlentscheidungen regelmäßig danebenlag? Ist es nicht bedenklich, dass Jean-Luc Mélenchon, der mit knapp 20% sehr erfolgreiche nationalistisch-linksradikale Anti-Europäer, sich bis jetzt geweigert hat für den zweiten Wahlgang klar gegen Le Pen Stellung zu beziehen, also zur Wahl von Macron aufzurufen? Im Netz findet man ohne lange zu suchen viele Debatten darüber, warum man sich als geschworener Linker nicht zu einer Stimme für Macron durchringen könne, der ein ganz schlimmer Neoliberaler sein soll. Das ”pfiffigste” Argument, was mir in dem Zusammenhang bisher über den Weg lief, hieß: Wenn jetzt Macron gewinne, dann würde in 5 Jahren unweigerlich Le Pen folgen, weil man ja schon wisse, dass unter Macron nur noch alles schlimmer werden könne. Daher sei eine Stimme für Macron faktisch eine Stimme für Le Pen. Mal davon abgesehen, dass diese Sorte ”Linke” offenbar in allererster Linie davon überzeugt ist, dass sie selbst nicht in der Lage sein wird in den nächsten 5 Jahren eine Alternative für Macron zustande zu bringen – ein bemerkenswerter Ausgangspunkt für eine solche Diskussion! – impliziert das Argument ja offenkundig, dass man bereit ist Le Pens Wahl heute zu riskieren, weil man sie in 5 Jahren fürchtet. Völlig absurd.
Die französischen Grünen (EELV), die bisher allesamt öffentlich, dafür eingetreten sind im zweiten Wahlgang Macron die Stimme zu geben, beharren gleichwohl auf einer scharfen Kritik an seinem Programm. Ich will hier nicht diskutieren, ob sich z.B. Macrons Vorstellungen zum künftigen Sozialversicherungssystem, die zu den Kritikpunkten gehören, wirklich so furchtbar unterscheiden von der Bürgerversicherung, die in Deutschland ein von Grünen, SPD und Linken gemeinsam getragenes Projekt ist. Wichtiger ist, zur Kenntnis zu nehmen, dass Macron und seine Bewegung En Marche! tatsächlich in vielerlei Hinsicht unzureichend geklärte Positionen repräsentieren. Und es gibt große Lücken, bei er Ökologie etwa. Macron ist erst noch dabei die politische Mitte zu formen, die er vertreten will. Wenn Peter Altmeier, Merkels rechte Hand, beschwingt twitterte, die Mitte habe gehalten, nachdem sich abzeichnete, dass Macron mit etwas weniger als einem Viertel der abgegeben Stimmen vorne liegen würde, dann hat das mit der Realität herzlich wenig zu tun. Er verbreitet damit Fake News. Die Mitte hat nicht gehalten, sie ist zerschmettert worden. Der offizielle Kandidat der Sozialisten kam auf 6,5 %. Der korrupte Vorkämpfer der bürgerlichen Konservativen, der zuvor seine eigene Partei kreuz und quer gespalten hatte, erreichte einen belämmernden dritten Platz nur minimal vor Mélenchon. Insgesamt wurden mehr als 45% der Stimmen für Bewerber abgegeben, die in der einen oder anderen Weise nationale Verheißungen ins Zentrum ihres Programms rückten.
Macron steht für die Ambition, für das Versprechen eine neue Mitte zu bilden, aber es ist völlig unklar ob und wie das gelingen kann. Es nervt, wie dogmatisch die Kritik von ganz links an Macron formuliert wird. Dass Fragezeichen berechtigt sind, kann aber niemand bestreiten. Ein Wahlsieg für Macron steht insoweit für einen Vertrauensvorschuss mit ungewissem Ausgang. Mir ist die Kandidatur Macrons sympathisch gewesen seit er sie, in einem für französische Verhältnisse ganz ungewöhnlichem Maße, an ein Bekenntnis zur Europäischen Integration und zur aktiven Rolle Frankreichs dabei gebunden hat. Ich bewunderte seinen Mut öffentlich im Wahlkampf zu sagen Frau Merkel habe mit ihrer Entscheidung 2015 im Herbst viele hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland zu lassen ”die Ehre Europas gerettet”. Offensichtlich hat Macron auch Charisma und flößt Vertrauen ein. Doch diesem Experiment blind zu vertrauen, kann niemand anraten. Völlig unklar ist auch ob Macron überhaupt eine Chance haben wird bei der nachfolgenden Parlamentswahl eine Mehrheit in der französischen Nationalversammlung zustande zu bringen. Ein Präsident, der zur Kohabitation mit einer feindlichen Parlamentsmehrheit gezwungen wäre, hätte von vornherein gekappte Flügel.
Ich gehe davon aus, dass Emanuel Macron nach einem Wahlsieg sehr schnell versuchen wird, aus seiner Sicht die weitere europäische Agenda zu definieren. So sehr er wissen muss, dass er wirksame Initiativen nur hinbekommen wird, wenn er dazu mit Deutschland als Hauptpartner und Gegenpol in der europäischen Antriebsachse zu einer Verständigung kommt, so sehr wird er den Bundestagswahlkampf nutzen wollen, um die in Deutschland um die Vorherrschaft ringenden politischen Akteure zu beeinflussen, indem er sie fordert. Deshalb, nicht nur deshalb, wird, so nehme ich an, die Europapolitik im Bundestagswahlkampf für uns eine besonders große Rolle spielen.
Für uns Grüne liegt darin eine Chance. Wir sind in Deutschland die Kraft die am entschiedensten pro-europäisch für eine Wende in der Wirtschaftspolitik, weg vom Austeritätsparadigma und hin zu einer konsistenten Politik der Investitionen argumentiert hat. Für uns ist das Bestandteil unserer Strategien einer ökologisch sozialen Transformation. Das Ökologische war wie gesagt, bei Macron eher unterentwickelt, aber vielleicht lässt sich ja im notwendigen streitigen Dialog eine Perspektive herauskristallisieren, die man zur Grundlage für die Entwicklung einer ”Transformations“–Union nehmen kann. Ich erwarte auch, dass Macron bei der innere und äußere Sicherheit initiativ werden wird. Kommt es in diesen zwei Handlungsfeldern zu mehr europäischer Gemeinsamkeit, stärkt das die Rolle Frankreichs in der EU, und das würde den Hebel stärken, mit dem Macron Frankreich verändern kann.
Risikolos ist das alles für Macron sicher nicht. Ich erinnere mich noch, mit welchen Hoffnungen Präsident Hollande vor 5 Jahren daran ging, die prädominante deutsche Position in Sachen europäischer Wirtschaftspolitik auszubalancieren. Frau Merkel kaufte ihm schon am ersten Wochenende, an dem sie sich trafen, den Schneid ab. Präsident Hollande gelang es danach nie ein wirklicher Tandempartner zu werden. Würde Macron mit seinen zu erwartenden Vorstößen ebenfalls an deutscher Hartleibigkeit scheitern, könnte ihn das ganz schnell zu Hause enorm unter Druck bringen. Ob es gut geht mit Macron hängt, deswegen auch z.T. Daran, wie sehr in Berlin verstanden wird, dass Deutschland wird auf ihn zugehen müssen, dass Deutschland die französische Kritik am deutschen Kurs wird viel ernster nehmen müssen.
Ob es wirklich gut gegangen ist, wird man also erst später sehen. Aber fröhlich macht mich, dass nach den Schocks des Brexit-Referendums und der Trump Wahl nun zum dritten Mal nacheinander in einem europäischen Land die autoritären Rechtspopulisten nicht den befürchteten Durchbruch erzielen konnten. Erst in Österreich, dann in den Niederlanden, nun in Frankreich wachsen deren Bäume nicht in den Himmel. Und wir haben die Chance, dass das auch bei uns in der Bundestagswahl gut geht. Das ist schon eine sehr starke Motivation dafür, darum zu kämpfen, dass in dieser sehr grundlegenden Auseinandersetzung um die Orientierung unserer Zukunft die grüne Stimme deutlich hörbar ist.