Das Ende der Energiewende – Meinungsbeitrag mit Boris Palmer

Die erneuerbaren Energien haben den Durchbruch geschafft. In einem einzigen Jahr wurden 27 Milliarden Euro für neue Produktionsanlagen investiert. Allein die Leistung der neuen Photovoltaikanlagen entspricht der von acht Atomkraftwerken. Der Atomausstieg durch erneuerbare Energien ist in vollem Gange. Klingt gut, ist aber eine schlechte Nachricht, denn das sind die Daten von 2011, dem Jahr der Merkelschen Energiewende. Seither sind die Investitionen in erneuerbare Energien in Deutschland auf die Hälfte zurückgegangen, der Zubau an Photovoltaik ist sogar auf ein Viertel eingebrochen. Diese Wende weg von den erneuerbaren Energien will die Bundesregierung nun zur Gesetzeskraft erheben. Das dynamische Wachstum des grün erzeugten Stroms wollen Gabriel und Merkel endgültig abwürgen: Der gesamte Zubau soll ab 2017 auf die Hälfte der Werte zu Beginn des Jahrzehnts gedrückt und dauerhaft auf diesem kümmerlichen Niveau eingefroren werden.

Die Bundesregierung gibt drei Gründe für diese Wende rückwärts an. Erstens sei die Energiewende zu teuer geworden, zweitens verstopfe der Strom die Netze und drittens verlange Brüssel den Abschied von der deutschen Förderpolitik. Alle drei Gründe sind falsch.

Erneuerbare Energien sind nicht mehr teurer: Strom aus einem konventionellen Kraftwerksneubau kostet heute acht bis zehn Cent je Kilowattstunde, sei es nun Gas, Kohle oder Atom. Demgegenüber sind Photovoltaik und Windkraft mit jeweils acht Cent bereits voll konkurrenzfähig. Und die Preise fallen rasant. Strom aus Photovoltaik kostete vor fünf Jahren noch das Dreifache. Deutschland hat die erneuerbaren Energien ausgebaut, als sie wirklich noch teuer waren. Ausgerechnet jetzt, da der weitere Zubau nicht teurer ist als die Fortsetzung von fossilen und atomaren Sackgasseninvestitionen, dreht Deutschland der Jobmaschine erneuerbare Energien den Saft ab. Dass Strom aus 40 Jahre alten Kohledreckschleudern billiger zu haben ist, kann angesichts des Klimavertrags von Paris und der Kosten des Klimawandels kein ernsthaftes Argument sein.

Erneuerbare Energien verstopfen keine Netze: Es stimmt, es gibt einige hundert Stunden im Jahr, in denen so viel Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, dass er nicht vollständig abtransportiert werden kann. Ein wesentlicher Grund ist aber, dass die alten Kohlekraftwerke sich kaum steuern lassen und auch dann mit voller Kraft laufen, wenn sie gar nicht gebraucht werden. Statt die erneuerbaren Energien abzuwürgen, wäre es klüger, die unflexiblen Altlasten aus der Braunkohlezeit vom Netz zu nehmen. Angesichts der stetig sinkenden Kosten der erneuerbaren Energien ist es auch verkraftbar, in den wenigen Stunden nicht nachgefragter Spitzenproduktion einige Anlagen abzuschalten. Der verschleppte Netzausbau taugt nicht einmal als Ausrede für die Kappung der erneuerbaren Energien.

Brüssel stoppt nichts: Die beliebteste aller Ausreden in Berlin ist immer noch Brüssel. Richtig ist, dass Brüssel Wettbewerb bei den erneuerbaren Energien sehen will. Falsch ist, dass es im bisherigen System der Förderung keinen Wettbewerb gegeben hat. Brüssel hat nichts gegen feste Vergütungssätze, wie man daran sehen kann, dass Großbritannien die Genehmigung erhielt, für neue Atomkraftwerke eine staatliche Subvention von zehn Cent je Kilowattstunde bis weit über die Mitte des Jahrhunderts auszureichen. Brüssel soll auch schuld daran sein, dass die von Rot-Grün mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführte Befreiung von der Stromsteuer für selbstgenutzten Solarstrom vom eigenen Dach fallen soll. Nirgendwo im Brüsseler Parlament lässt sich jemand finden, der diese Forderung kennt. Sie ist auch hinreichend absurd, entspricht sie doch dem Verlangen, für selbstangebaute Tomaten vom eigenen Balkon Mehrwertsteuer zu erheben.

Es gibt keinen Grund, den Ausbau der erneuerbaren Energien auszubremsen, ganz im Gegenteil. Die durch das EEG ausgelöste Dynamik wird nun in Ländern wie den Vereinigten Staaten und China mit gigantischen Investitionen fortgeführt. Dort wird die nun marktreife Technik eingesetzt, die wir entwickelt haben. Jetzt, wo wir günstig Wertschöpfung aus den Ölstaaten in unser Land verlagern könnten, steigen wir aus der Dynamik aus. Wirtschaftlich und ökologisch ist das eine schlimme Fehlentscheidung. Das Ziel der Bundesregierung, bis 2025 nicht mehr als 45 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu erreichen, bedeutet bezogen auf den gesamten Energiebedarf einschließlich Wärme und Verkehr, einen Anteil der erneuerbaren Energien von weniger als 20 Prozent.

Wenn nun ein ganzes Jahrzehnt lang Stagnation an die Stelle von Dynamik treten sollte, wäre es anschließend kaum möglich, die für den Klimaschutz notwendige Umstellung auf hundert Prozent erneuerbare Energien noch einigermaßen rechtzeitig zu schaffen. Und mal industriepolitisch argumentiert: Die Mobilitätsindustrie bliebe damit in der fossilen Vergangenheit gefangen, selbst wenn sie auf Elektro setzte. Kümmerlich. Bundestag und Bundesrat, ganz besonders die grün mitregierten Länder, sollten die Zustimmung zur Energiewende rückwärts des Bundeskabinetts verweigern.

Boris Palmer ist Oberbürgermeister von Tübingen, Reinhard Bütikofer Mitglied des Europäischen Parlaments und Kovorsitzender der Europäischen Grünen Partei.

Erschienen am 2 Juli 2016 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung

 

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