Seit 1993 wird jedes Jahr am 22. April der „Earth Day“ begangen, der „Tag der Erde“. Ursprünglich war er eine Frucht der Rio-Konferenz 1992. Am Earth Day wurden über die Jahre im epochalen Kampf um Nachhaltigkeit manchmal Erfolge gefeiert; aber öfter waren Stagnation oder sogar Rückschläge zu konstatieren. Die Welt ist heute weniger nachhaltig, als sie 1993 war. Das zeigt sich daran, dass ein anderer markanter Tag, der „Earth Overshoot Day“ – der Tag, an dem die Menschheit jeweils in dem entsprechenden Jahr global mehr Ressourcen verbraucht und mehr Emissionen verursacht hat, als nachhaltig wäre – seither jedes Jahr früher stattfindet. 1993 fiel der Earth Overshoot Day auf den 21. Oktober, 2015 schon auf den 13. August.
Trotzdem begehe ich den Earth Day 2016 mit Hoffnung. Denn es ist zugleich der Tag, an dem in New York die Ergebnisse des Klimagipfels von Paris von zahlreichen Staats- und Regierungschefs unterzeichnet werden. Der Klimagipfel von Paris hat zum ersten Mal eine weltweite Übereinkunft zum gemeinsamen Kampf für die Begrenzung des Klimawandels zustande gebracht. Er hat eine Richtung gewiesen und Ziele gesetzt. In der Festlegung der Beiträge der einzelnen Staaten blieb der Gipfel zwar deutlich hinter dem Erforderlichen zurück. Aber das Signal in Richtung Dekarbonisierung, das sehr eindeutig gegeben wurde, bedeutete einen Durchbruch. Ab sofort kann nicht mehr die Richtung streitig sein. Die Dringlichkeit allerdings, mit der sich die internationale Gemeinschaft in die richtige Richtung bewegen muss, die ist hart umkämpft.
Das Ende der fossilen Energieversorgung und einer auf dieser gegründeten Wirtschaftsweise steht vor Augen. Doch die Vertreter der Interessen, die da verlieren müssen, damit die Menschheit eine Zukunft hat, die nicht von einem Klimawandel, der außer Rand und Band gerät, zum Alptraum gemacht wird – die Vertreter dieser Interessen werden sich nicht freiwillig fügen, sondern darum kämpfen, ihren unvermeidlichen Abstieg möglichst lange hinauszuschieben. Wir leben in einer Übergangszeit, die deswegen von harten Auseinandersetzungen geprägt ist. Noch im Jahr 2000 waren fast 100 Prozent der Investitionen in Energie, soweit sie nicht in Kernkraftwerke gingen, fossil. Heute ist das Verhältnis fossil vs. erneuerbar ungefähr halbe-halbe. 2030 wird der Anteil der Investitionen in Erneuerbare Energien nah an 100 Prozent herankommen. Welches Ausmaß der Klimawandel annimmt, hängt davon ab, wie lange und wie stark bis dahin noch den alten Götzen des fossilen Zeitalters geopfert wird. Nach einer Oxbridge-Studie von 2016 dürfen eigentlich außer den dieses Jahr noch ans Netz gehenden fossilen Kraftwerken keine weiteren mehr gebaut werden, wenn das Kohlenstoffbudget der Welt nicht überstrapaziert werden soll. Das zeigt, wie sehr es darauf ankommt, die Transformation zügig durchzusetzen.
Dass die politisch Verantwortlichen sich seit Paris entsprechend den dortigen Beschlüssen mit Verve ins Zeug legen würden, kann niemand behaupten. Auch in der EU nicht. Auch in Deutschland nicht. Daran wird sich meines Erachtens nur dann fundamental etwas ändern, wenn die Kräfte aus Gesellschaft und Wirtschaft, die den ökologischen Wandel, die grüne Transformation wollen, den Kampf aufnehmen und sich dabei verbünden. Um es etwas bissig zu sagen: Bisher hatten wir gar keine klimapolitische Bewegung! Wir hatten gute wissenschaftliche Argumente, wir hatten schlagende Fakten, wir hatten eindeutige Erfahrungen mit den beginnenden Auswirkungen des Klimawandels, wir hatten auch Wahlerfolge, insbesondere Grüne, die der Politik gegen den Klimawandel halfen, aber eine gesamtgesellschaftliche Bewegung, die den Machtanspruch und die Rücksichtslosigkeit der fossilen Lobby herausarbeitet und konsequent bekämpft, die müssen wir jetzt aufbauen. Die internationale Divestment-Bewegung, die derzeit gute Fortschritte macht – ich hoff, wir Bündnisgrünen werden uns in Deutschland alle mächtig für sie einsetzen – ist eine der Triebkräfte, die positiv wirken. Zum zweiten setze ich auf eine große Finanzwende. Das heißt, dass die Regeln für Finanzmärkte, für die Transparenz ihrer Risiken usw. so umgestaltet werden müssen, wie es erforderlich ist, um globale Investitionen dahin zu lenken, wo sie den Umbau zu einer Wirtschaft, die der 1,5°C-Grenze entspricht, nützlich sind. Den Ausstieg aus den Fossilen, den das Divestment anstrebt, muss eben der Einstieg in nachhaltige Investitionen entsprechen.
Wie es sich so trifft, findet am 22. April, am Earth Day, auf Initiative der holländischen Ratspräsidentschaft ein informelles ECOFIN-Treffen statt. Dort sollen die Finanzminister genau über diese Fragen diskutieren: Wie kann man effizient nachhaltige Investitionen des Privatsektors fördern? Welche Rolle haben dabei die Regierungen? Wie kann man die Transparenz impliziter CO2-Risiken bei Finanzanlagen erhöhen? Welche Rolle spielen dabei Gesetzgebung und Finanzaufsicht? Muss es nicht auch sowas geben wie einen CO2-Stresstest, um auf entsprechende Risiken hinzuweisen? Wie kann der Gesichtspunkt der Entwicklung von nachhaltigen Finanzmärkten in die Kapitalmarktunion integriert werden, an der die EU derzeit arbeitet? Die Fragen sind nicht aus der Luft gegriffen. Es sind Fragen, die zunehmend aus den Kreisen von Finanzakteuren selbst gestellt werden. Diese ECOFIN-Sitzung kann also spannend werden. Es sind nämlich keineswegs alle Mitgliedsländer auf einer ähnlichen Linie. Progressiv im Sinne der ökologischen Transformation sind hier die Briten, die Holländer, die Schweden, die Franzosen und das Systemic Risk Board der EZB. Progressiv sind übrigens weltweit und insbesondere im Rahmen der G20 auch die Chinesen, die dort eine entsprechende Studiengruppe leiten. Keineswegs progressiv ist die Europäische Kommission. Und Minister Schäubles Finanzministerium will sich bisher nicht klar positionieren, so dass etliche Akteure schon fürchten, Schäuble wolle möglicherweise nächstes Jahr, wenn Deutschland die G20-Präsidentschaft hat, dem ganzen Unterfangen verschiedene Blöcke in den Weg legen. Die Grünen im Deutschen Bundestag haben diese Themen ebenso aufgegriffen wie wir im Europäischen Parlament. Beim ECOFIN-Treffen wird sich zeigen, wie stark die Lager jeweils sind. Das Treffen ist natürlich nur ein Ereignis und wird für sich alleine keinen Ausschlag geben. Wenn es aber gelänge, dort positive Signale zu setzen, wie es die niederländische Ratspräsidentschaft vorschlägt, dann wäre das ein weiterer Grund, dieses Jahr den Earth Day gut gestimmt zu begehen.