„Soll die EU China den Marktwirtschaftsstatus verleihen?” Diese, in Brüssler Europapolitik- und Industriekreisen derzeit heiß diskutierte Frage hat es bisher kaum in den politischen Diskurs in Berlin geschafft. Das obwohl eine Entscheidung in dieser Frage enorme wirtschaftliche Auswirkungen auf Deutschland und Europa haben kann. In einem öffentlichen Fachgespräch, ko-organisiert von Katharina Dröge, Reinhard Bütikofer und Cem Özdemir luden am 16.03.2015 erstmals deutsche und europäische Abgeordnete zur kritischen Diskussion ein. Über 50 interessierte Gäste kamen, führten und verfolgten eine fundiert sachliche und dabei dennoch leidenschaftliche Debatte. Nach einer thematischen Einleitung durch Reinhard Bütikofer moderierte Katharina Dröge die Expertenbeiträge von Gunnar Jungk von ThyssenKrupp sowie Björn Conrad und Mikko Huotari vom Mercator Institute for China Studies (Merics) aus Berlin, die das Für und Wider des Marktwirtschaftsstatus für China behandelten.
Im Kern geht es bei dieser Frage um folgendes: Als China 2001 der WTO beitrat, geschah dies noch unter Auflagen. China wurde damals als Nicht-Marktwirtschaft eingestuft, womit der volle Zugang zu den Märkten anderer WTO Mitglieder verwehrt blieb. Im festen Glauben an einen politischen und wirtschaftlichen Reformprozess wurde damals jedoch im Protokoll des Beitritts in Aussicht gestellt, China diesen Status fünfzehn Jahre später schließlich zu gewähren. Diese Einstufung würde sich konkret auf die Möglichkeit anderer Staaten auswirken, gegen unter Dumpingbedingungen in China hergestellte Produkte Strafzölle oder andere Abwehrmaßnahmen ins Feld zu führen. Ende dieses Jahres endet nun die fünfzehn Jahre Übergangsfrist. Damit steht die Frage im Raum, wie mit China in Bezug auf den Marktwirtschaftsstatus umzugehen ist.
Es gibt keine einfache Antwort
Dabei wurde schnell deutlich: Bei der Entscheidung für oder gegen den Marktwirtschaftsstatus gibt es keine einfache Lösung, und weder ein klares Ja noch ein klares Nein scheinen vielversprechend, die europäischen Belange zu fördern. Ob durch das Auslaufen der Sonderbestimmungen des Beitrittsprotokolls anlässlich des chinesischen WTO-Beitritts automatisch der Status als Marktwirtschaft folgt, ist rechtlich hochumstritten. Die Volksrepublik China ist auch fünfzehn Jahre nach Beitritt in die WTO weit davon entfernt, eine Marktwirtschaft zu sein. In viele Bereiche der Wirtschaft greift die regierende Kommunistische Partei massiv ein und verzerrt auf diesem Weg Wettbewerb und marktwirtschaftliche Dynamiken. Dennoch gab es in den letzten Jahren Fortschritte, die in einer solchen Debatte nicht ignoriert werden können.
Im Vortrag der Vertreter des Mercator Institute for China Studies wurde deutlich, dass die EU vor allem einen kohärenten Ansatz zur Lösung des Problems braucht. Derzeit verfolgen die Mitgliedsstaaten unterschiedliche, teils sogar konträre Strategien und Standpunkte. Aus Sicht der Merics-Experten ist der Ausgang der Entscheidung über den Marktwirtschaftsstatus offen, wobei sie eine Vielzahl von Optionen aufzeigten. Abseits eines klaren Ja‘s und eines klaren Nein‘s kommen dabei mehrere sogenannte „dritte Wege“ in Frage, die als Kompromisslösungen diskutiert werden könnten.
Die Ausführungen von Gunnar Jungk dagegen zeigten die Herausforderungen der europäischen Stahlindustrie aus Sicht von ThyssenKrupp. Jungk beschrieb, wie aus seiner Sicht durch massiven Import chinesischen Stahls Probleme für die europäische Stahlproduktion größer werden. Die massiven Überkapazitäten, die sich unter anderem aus der abschwächenden Konjunktur in China ergeben, exportiert China. Das führt dazu, dass die europäischen Stahlkonzerne derzeit in einem wenig aussichtsreichen Preiskampf involviert seien.
Diskussion als Chance
In der anschließenden, gemeinsamen Diskussion wurde deutlich, dass die Entscheidung über den Marktwirtschaftsstatus Konsequenzen, darunter sowohl Chancen als auch Risiken, haben kann, die über den rein wirtschaftlichen Aspekt hinausgehen. Es spricht viel dafür, dass die Art und Weise des Umganges auf internationaler Ebene zwischen der EU und China auch das allgemeine Verhältnis beider Volkswirtschaften und politischer System entscheidend mit prägen werden. Trotz dieser bilateralen „Großdimension“ bleibt eine Vielzahl fachlicher Aspekte dieses Themas weiter ungeklärt. Zahlreiche GesprächsteilnehmerInnen wiesen darauf hin, dieses Gespräch könne nur das erste eines umfassenderen Dialoges sein, der in den kommenden Monaten fortzusetzen ist. Wir werden diese Debatte weiter führen.