Trotz einer gewaltigen TTIP-Demonstration mit bis zu 250.000 TeilnehmerInnen am 10.Oktober in Berlin, gerät die Auseinandersetzung um das geplante transatlantische Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP) sowie ein entsprechendes Abkommen mit Kanada (CETA) ein bisschen in den Schatten der alles dominierenden Migrations- und Flüchtlingsdebatte. Doch während sich die VerhandlerInnen beider Seiten in Florida zur elften Verhandlungsrunde treffen wird außerhalb des engen Umkreises der Europäischen Kommission immer deutlicher, dass bei TTIP noch ein sehr weiter Weg vor uns liegt.
Es ist inzwischen mit einiger Plausibilität zu erwarten, dass es frühestens im Jahr 2018 einen Abschluss geben wird. Wenn es einen Abschluss geben wird.
Überdeutlich sind die Zeichen, wonach die zu erwartendenden Schwierigkeiten in den US-EU-Verhandlungen noch gar nicht alle ins Auge gefasst sind. Bei einer Diskussionsveranstaltung des Jacques Delors Instituts in Berlin widersprachen sich Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der französische Außenhandelsstaatssekretär Fekl auf offener Bühne. Während Fekl, meines Erachtens völlig zu Recht, der US-Seite vorwarf, sie sei in den bisherigen zehn Verhandlungsrunden im Wesentlichen zu keinerlei Zugeständnissen bereit gewesen, und damit drohte, darauf gegebenenfalls auch scharf zu reagieren – bis hin zur Forderung nach einer Verhandlungsunterbrechung – machte Sigmar Gabriel zwei Verantwortliche aus für das Stocken in der Sache: zum einen die USA – wegen einer Blockade beim Thema öffentliche Ausschreibungen – und zum anderen die Europäer – wegen einer Blockade beim Thema Agrarexporte. Mit letzterem meint er vor allem Paris. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass derartige europäische Uneinigkeit die Verhandlungen nicht fördert sondern eher blockieren hilft.
Die zuständige EU-Kommissarin Malmström signalisierte Mitte Oktober – ich nehme an: wegen der US-amerikanische Intransingenz – ein TTIP Abkommen werde es möglicherweise erst mit der Nachfolgerin oder dem Nachfolger von Präsident Obama geben. Dass der deutsche EU-Kommissar Oettinger – der für dieses Thema nicht zuständig ist – seiner Kollegin sogleich öffentlich widersprach, zeigt, wie nervös die TTIP Freunde in der Berliner Regierung sind. Merkel, Gabriel und co. passt die Perspektive gar nicht, dass dieses Thema im Bundestagswahlkampf 2017 eine Rolle spielen könnte. Aber genau das ist zu erwarten.
Derzeit ist in Washington unklar, wann das zwischen den USA und über 10 pazifischen Nationen ausgehandelte, TPP-Handelsabkommen (Trans-Pacific Partnership), im Kongress wohl abgestimmt werden wird. Frühestens – so sagen ExpertInnnen – im April. Möglicherweise aber erst nach der Präsidentschaftswahl im Dezember 2016.
Beide Varianten lassen zeitlich nicht genug Raum für ein TTIP-Übereinkommen noch während der Amtszeit von Präsident Obama. Der oder die neue US-PräsidentIn übernimmt im Januar 2017. Das Spitzenpersonal in der Regierung, das Handlungsfähigkeit für die neue Administration schafft, wird nicht vor Juli 2017 im Senat bestätigt sein; gleichzeitig wird die französische Präsidentschaftswahl im Mai sowie die französische Parlamentswahl und die deutsche Bundestagswahl im Herbst 2017 ihre Schatten vorrauswerfen. Vor 2018 ist ein Abschluss von TTIP deswegen kaum vorstellbar. Dabei unterstelle ich, dass die nächste US-Administration genauso wie die EU-Kommission versuchen werden, an dem TTIP-Vorhaben festzuhalten. Ich unterstelle Ihnen, dass sie versuchen werden, ein TTIP-Abkommen zu verabreden, selbst wenn sie dazu wegen des massiven Widerstandes in der Öffentlichkeit auf wichtige Teile der derzeit verfolgten Agenda verzichten müssen. Andererseits ist allerdings auch nicht ausgeschlossen, dass der Verhandlungstisch so sehr mit kontroversen Inhalten überladen wurde, dass die Verhandlungen daran scheitern.
Eine paradoxe Entwicklung der letzten Wochen liegt darin, wie der Vorstoß von EU-Kommissarin Malmström zu einer „Reform“ der geplanten Investorenschutzregelungen – gemeint sind hier natürlich die hoch umstrittenen Investoren-Staats-Streitbeilegungsmechanismen (ISDS) – aufgenommen worden ist. Malmströms Absicht war es, den Widerstand gegen ISDS Regelungen zu besänftigen, ohne völlig auf diese zu verzichten. Geerntet hat sie interessanterweise aus Wirtschaftskrisen beiderseits des Atlantiks einen Sturm der Entrüstung. Die US Chamber of Commerce nannte den Malmström-Vorschlag schon sehr früh einen „dealkiller“. Die American Chamber of Commerce war diplomatisch geschickt genug, sich nicht explizit gegen Malström festzulegen, begrüßte aber deren Ansatz so unverbindlich und vage, dass man keinesfalls eine ernsthafte Unterstützung für Malmströms Ideen herauslesen konnte. Business Europe hinwieder, die europäische Stimme von Big Business, machte sich mit einiger Verzögerung die scharfe Position der US Chamber zu Eigen. Der Verband verstieg sich dabei zu recht skurrilen Argumenten. So sei etwa Malmströms Vorschlag, dass die, an dem von ihr vorgeschlagenen Schiedsgericht beteiligten Staaten die Schiedsrichter aussuchen sollten, eine „Diskriminierung der Wirtschaft“. Das ist richtig süß! Die Wirtschaft ist immer dann diskriminiert, wenn sie sich ihre Regeln nicht selbst geben darf!
Jenseits der Einzelheiten machen aber die Position von US Chamber und Business Europe eines sehr deutlich: Die gewichtigen Stimmen in der Wirtschaft, die bis jetzt so entschieden für ISDS eingetreten sind, sind überhaupt nicht gewillt, sich auf Malmströms Logik einzulassen. Ziel ihrer Bemühungen ist es ja gerade eine Privatjustiz zu errichten. Da Malmström daran auch nur geringe Abstriche machen will, gehen sie auf die Barrikaden. Eine von Malmström vorgeschlagene Formulierung wonach das Gesetzgebungsrecht der Parlamente beiderseits des Atlantiks durch Schiedsgerichtsverfahren nicht eingeschränkt werden dürfte, empfinden sie als Zumutung. Das heißt aber in der Konsequenz: Malmström wird es nicht schaffen durch ihre halbe Reform zu entschärften. Es bleibt bei der Alternative Konzern-Privatjustiz – oder nicht! So, wie sich das Europäische Parlament dazu mehrheitlich eingelassen hat, wird das überaus spannend, vor allem für die Europäische Sozialdemokratie. Interessant war übrigens bei einer TTIP Diskussion am Rande der Internationalen Automobilmesse in Frankfurt, an der ich teilnahm, dass eine Handelsjuristin, die sich als begeisterter ISDS-Fan outete, zum Ergebnis kam, sie wolle lieber gar keine ISDS-Regelung in TTIP, als die von Malmström.
Ich glaube, der Streit um TTIP wird sich in den nächsten Monaten thematisch eher noch verbreitern. Ich sehe einen großen Konflikt, der schwer überbrückbar erscheint, zwischen dem europäischen und dem US-amerikanischen Ansatz bei der Industrienormung. An die äußert explosiven Agrarfragen hat man sich in den Verhandlungen noch gar nicht herangetraut. Auch der ganze Komplex öffentliches Beschaffungswesen blieb bisher ausgeklammert. Ich vermute, das geschah auch deswegen, weil – sobald man sich dem näher widmete – schnell deutlich würde, wie verbarrikadiert da die Fronten sind und wie wenig die Obama-Administration, selbst bei besten Willen, über die Autorität verfügt, in diesem Bereich den europäischen Anforderungen auch nur annähernd zu entsprechen. Wird das aber klar, dann kann man den Europäern die angebliche Verheißung großer Durchbrüche beim Zugang zu US-amerikanischen öffentlichen Ausschreibungen nicht mehr als Wurstzipfel oder auch –vegane Variante – Karotte vor die Nase halten um sie zu Zugeständnissen zu motivieren.
Auf eines übrigens sollte unterhalb der Globalkritik an TTIP meines Erachtens stärker öffentlich geachtet werden: von US-Seite ist mehrfach betont worden, die Europäer bräuchten TTIP dringender als die USA und müssten daher größere Zugeständnisse eingehen. Eine wachsende Zahl von Stimmen, die sich auskennen, warnt davor, dass sich die europäischen VerhandlerInnen so verhielten, als sei das auch ihre Annahme. An dieser Stelle zeigt sich übrigens erneut, wie unbefriedigend es ist, dass die Transparenz nach wie vor sehr lückenhaft bleibt. Formal ist es gegenwärtig nicht möglich, europäische Angebote an die USA, die der anderen Seite schon dargeboten wurden, in Rücksprache mit Experten daraufhin zu überprüfen, ob da nicht im konkreten Detail schon viel zu viele Konzessionen eingeräumt werden.
Es ist – das ist gewiss – enorm vertrackt. Fröhliche Verhandlungsrunde in Florida!