Dass es im griechischen Parlament heute Nacht eine große Mehrheit für ein Ja zu den Vereinbarungen mit der Eurozone geben würde, stand von vorneherein fest. Schließlich hatten Nea Dimokratia und Pasok als auch Potami im Vorfeld schon ihre, nicht an Bedingungen geknüpfte Zustimmung, signalisiert. Zahlenmäßig spannend war daher nur, wie viele Leute der eigenen Fraktion Ministerpräsident Tsipras von der Fahne gehen würden. Es waren am Ende, als zwischen zwei und drei Uhr abgestimmt wurde, insgesamt 38 von 149 Abgeordneten, darunter auch der ehemalige Finanzminister Varoufakis. Damit lag Tsipras nur knapp über einer verfassungspolitisch und symbolisch wichtigen Schmerzgrenze. Die schwärzesten Befürchtungen, die man hätte haben können, nachdem bekannt geworden war, dass am Morgen das Syriza Zentralkomittee mit 109 von 201 Stimmen mehrheitlich „Nein“ gesagt hatte, realisierten sich nicht. Aber trotz einer sehr engagierten Rede konnte Tsipras offenkundig von den „Nein“-Geneigten nur ganz wenige zurückgewinnen, deren „Ja“ dann im Plenum von der Opposition mit hämischen Applaus begleitet wurde. Als nach der Abstimmung der Vorhang fiel, waren weiterhin alle Fragen offen.
Kurzfristig erscheint die Regierung Tsipras als stabil, was im Wesentlichen daran liegt, dass die Opposition noch schlecht sortiert ist und niemanden hat, der oder die in der Lage wären, gegenwärtig Griechenland durch die politischen Untiefen zu steuern. Das wurde auch von Oppositionsvertretern unumwunden zugegeben. Andererseits prognostizierten etliche Gesprächspartner aus der Syriza oder aus der Opposition, sie rechneten mit Neuwahlen im September oder Oktober. Dahinter steckt auch die Erwartung oder Sorge, je nach Standpunkt, dass Tsipras‘ starker Rückhalt bei der Bevölkerung unter den praktischen Schwierigkeiten, denen sich die Regierung ausgesetzt sieht, abbröckeln werde, so dass er gezwungen sein könnte, durch Neuwahlen einen vergleichsweise positiven Rückhalt festzuschreiben, bevor der vorbei ist. Spekultativ wurde dabei von einem Gesprächspartner Potami als möglicher künftiger Gesprächspartner von Tsipras benannt; ANEL, sein rechtspopulistischer derzeitiger Partner und die traditionsreiche Pasok wurden dagegen im parlamentarischen Aus vermutet.
Erschreckend war in der Parlamentsdebatte, dass die faschistische Goldene Morgenröte am schwungvollsten auftrat. Sie hoffen darauf, dass ihr Weizen noch blühen wird. Bei Syriza war ein erhebliches Maß an Desorientierung zu spüren, ihr erster Fraktionsredner erinnerte mich an eine fünfmal schwächere Variante des Franz Müntefering von 2003, der vor einer grollenden SPD-Fraktion im Bundestag seinem Kanzler Schröder die Loyalität für die Agenda 2010 versicherte, ohne das groß begründen zu können.
Folgt aus dem griechischen Ja zur Eurozonenvereinbarung die Notwendigkeit, nun bei uns oder in anderen Ländern, in denen die Parlamente ebenfalls über diese Vereinbarung abstimmen, grünerseits Ja zu sagen? Ich denke nicht. Jedenfalls wurde uns gegenüber in Gesprächen eine derartige Erwartung nicht formuliert. Vielmehr wurde betont: Es kommt viel mehr auf eure Botschaft an, als auf euer Abstimmungsverhalten. Es kommt darauf an, dass eure Botschaft eure Kritik an dieser Vereinbarung deutlich macht. Könnte man das mit einem Ja im Bundestag tun?
Eine Hoffnung, die uns gegenüber mehrfach geäußert wurde scheint sich jedenfalls nicht so schnell zu erfüllen: dass an der Grexit-Front jetzt Ruhe einkehren möge, dass ein Grexit vom Tisch sei. Nicht nur Minister Schäuble ist damit offenbar gar nicht einverstanden und bringt Grexit immer wieder direkt oder indirekt ins Gespräch. Auch die Tatsache, dass zwischen IWF und deutscher Bundesregierung erhebliche Differenzen in der jeweiligen Position existieren, spricht gegen eine sehr zügige Verabredung über ein drittes Memorandum. Die Unsicherheiten bleiben – verringert, aber nicht ausgeräumt. Und ein weiteres war in der Parlamentsdebatte auch unübersehbar: Von Aufbruchsstimmung kann noch nicht einmal von weitem die Rede sein. Die Tatsache, dass durch die Eurozonen-Vereinbarung die berühmte griechische „Ownership“ mindestens massiv geschwächt wurde, trägt sicherlich dazu bei.
An einer Stelle gab es gestern so etwas wie Optimismus. Dass die Übergangsfinanzierung bis zum Abschluss der anstehenden Verhandlungen gelingen werde, und zwar ohne die von Minister Schäuble ins Gespräch gebrachten und früher von seinem Kollegen Varoufakis favorisierten Schuldscheine, das nahmen unsere Gesprächspartner an. Ein kurzer Horizont der Hoffnung, aber mehr scheint derzeit nicht zu habe zu sein.