Als Mitglied im sogenannten TTIP-Beitrat des deutschen Wirtschaftsministerium (BMWi) hat Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW), viel mit dem Thema internationale Handelsabkommen zu tun. Denn: 98 Prozent der rund 350.000 deutschen Exporteure sind Mittelständler. Trotzdem kommt die Perspektive des Mittelstandes in der Debatte um das transatlantische Handelsabkommen TTIP kaum vor. Nach einer Anhörung im industriepolitischen Ausschuss, zu der Mario Ohoven zu uns ins Europäische Parlament gereist war, und die auch für mich sehr spannend war, führte ich daher ein weiteres Gespräch mit ihm: über das mittelstandsfeindliche Investor-Staat-Schiedsverfahren, den falschen Zuschnitt des Abkommens auf die Bedürfnisse von Großkonzernen , und einiges mehr. Das möchte ich hier mit Ihnen teilen.
BÜTIKOFER: Sie haben, Herr Ohoven, bei einer Anhörung des industriepolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments zu TTIP als Experte gesprochen und dabei erlebt, dass das hier in Brüssel ein ganz kontroverses Thema ist. Was hören Sie denn von Ihren Mitgliedsunternehmen? Ist das Thema dort schon angekommen? Wie gut können sich Mittelständler anhand der verfügbaren Informationen ein Bild machen?
OHOVEN: Die Information der breiten Öffentlichkeit ist immer noch nicht befriedigend. Im Mittelstand dringt das Thema inzwischen immer stärker durch. Wir selbst als führender Mittelstandsverband Deutschlands informieren die Unternehmer in den unterschiedlichsten Veranstaltungsformaten bundesweit und lassen dabei keinen Zweifel aufkommen, dass ein handwerklich gut gemachtes und vor allem faires TTIP-Abkommen große Chancen für Mittelständler bietet. Wir machen dabei aber genauso deutlich, wo wir Nachbesserungsbedarf sehen. Das gilt vor allem für die Schiedsgerichtsbarkeit, die Unvereinbarkeit von amerikanischem Nachsorge- und europäischem Vorsorgeprinzip und den geplanten Regulationsrat.
BÜTIKOFER: Haben Sie eigentlich viel Austausch mit Mittelstandsverbänden aus anderen EU-Ländern zu TTIP? Mir scheint es manchmal als konzentriere sich die Diskussion bisher stark auf wenige Länder. Was hören Sie aus anderen Verbänden?
OHOVEN: Über unseren europäischen Mittelstandsdachverband European Entrepreneurs sind wir im regen Austausch miteinander. Momentan kommen die kritischen Stimmen zu TTIP insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum. Aus Südeuropa dürften aber Brüssel in naher Zukunft ähnlich intensive Diskussionen erreichen. Dort war die Debatte bislang von anderen aktuellen Themen überlagert, allen voran die Schuldenproblematik.
BÜTIKOFER: Die Kommission betont in letzter Zeit ganz besonders stark wie sehr TTIP vor allem den Mittelstand nutzen werde. Was sind da Ihre Erwartungen? Wo sind Sie optimistisch, wo skeptisch?
OHOVEN: Freihandel und Abbau von Handelshemmnissen zwischen Ländern nutzt generell allen Beteiligten, Unternehmen wie Konsumenten. Klein- und mittelständische Unternehmen sind als Zulieferer auf nationaler Ebene schon jetzt Profiteure intensiver grenzüberschreitender Handelsbeziehungen. Dazu muss man wissen, dass 98 Prozent der rund 350.000 deutschen Exporteure Mittelständler sind. Werden Zölle abgeschafft sowie Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren angeglichen, kann der Mittelstand, der in der Regel nicht über die gleichen Finanzpolster verfügt wie die Großunternehmen, mit weniger Zeit- und Kostenaufwand neue Märkte erschließen. Voraussetzung ist allerdings, dass mittelstandsfeindliche Elemente wie das geplante Investor-Staat-Schiedsverfahren aus TTIP herausgenommen oder mittelstandsfreundlich modifiziert werden.
BÜTIKOFER: Im Europäischen Parlament haben Sie sich sehr eindeutig gegen ISDS ausgesprochen, also gegen die Aufnahme eines privilegierten privaten Rechtsschutzes für internationale Großinvestoren in das transatlantische Handelsabkommen. Die großen Wirtschaftsverbände rühren für ISDS die Trommel. Warum sehen Sie das anders?
OHOVEN: Als Vertreter des Mittelstands lehne ich eine auf die Bedürfnisse von Großkonzernen maßgeschneiderte Sondergerichtsbarkeit ab. Zumal es weder Berufung noch Revision gibt, das heißt der Schiedsspruch kann nicht mehr bei einem höheren Gericht angegriffen werden, ist also unumstößlich. Mittelständler haben weder die finanziellen Ressourcen noch die Zeit, um langwierige Schiedsverfahren zu führen. Nach OECD-Angaben belaufen sich die durchschnittlichen Kosten eines Schiedsverfahrens auf rund 6,5 Millionen Euro. Zu Beginn muss ein Unternehmen schon 600.000 Euro allein für die Gerichtskosten auf den Tisch legen. Das kann sich kein Mittelständler leisten. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Verfahren von international aufgestellten Konzernen genutzt werden, um indirekten Einfluss auf staatliche Entscheidungen zu nehmen. Im Übrigen: Sowohl die USA als auch die Mitgliedsstaaten der EU verfügen über ausgereifte Gerichtsbarkeiten, die hohen rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen. Das macht eine Paralleljustiz überflüssig. Schon jetzt konzentrieren sich etwas mehr als die Hälfte der ausländischen amerikanischen Direktinvestitionen in der EU-28 – und das ohne ISDS.
BÜTIKOFER: Über Ihre kritischen Aussagen zu ISDS freue ich mich. Was müssen wir Ihrer Meinung nach tun, damit diese Kritik zum Erfolg kommt und TTIP nicht zur Startrampe wird für eine transatlantische Machtwirtschaft statt einer Marktwirtschaft?
OHOVEN: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist nach meiner Wahrnehmung auf dem richtigen Weg, weil er die großen Gefahren eines unveränderten ISDS für den Mittelstand erkannt hat. Sein Vorschlag einer transparenten Schiedsgerichtsbarkeit mit Berufungsinstanz und unabhängigen Richtern könnte ein gangbarer Weg sein. Auf jeden Fall werde ich im TTIP-Beirat von Herrn Gabriel sehr genau darauf achten, dass am Ende des Weges ein Freihandelsabkommen steht, das dem deutschen Mittelstand nutzt und nicht schadet.
Foto oben CC-0 Ecosystem
Bilder vom Treffen am 24.02.2015