Münster – Eine Stadt geht voran beim Ausstieg aus schmutzigen Finanzanlagen

INTERVIEW MIT OTTO REINERS (GRÜNE MÜNSTER) ZUR CARBON BUBBLE THEMENSEITE

Ende September einigten sich GRÜNE und Sozialdemokraten im Stadtrat Münster auf Programmpunkte einer Zusammenarbeit bis 2020. Die Umstrukturierung der städtischen Finanzen, der Abzug von Finanzmitteln aus CO2 produzierenden Anlagen, war eines der Elemente, welche die Münsteraner Grünen in dieses Programm einbrachten. Otto Reiners, Sprecher der Grünen Stadtratsfraktion, erklärt im Interview, wie es dazu kam und welche Auswirkungen er erwartet.

Lieber Otto Reiners, den Abzug von Mitteln in kohlenstoffintensive Finanzanlagen machten die Grünen zu einem ihrer wichtigsten Zielpunkte für die Zusammenarbeit mit der SPD in Münster. Seit wann ist dieses Thema – das Divestment – bei Euch auf der Agenda? Wie verliefen die programmatischen Überlegungen?

Münster ist eine der aktivsten Klimaschutzstädte Deutschlands. Wir erhielten schon mehrfach den Titel „Bundeshauptstadt im Klimaschutz“ (1997 und 2006). Aktuell ist Münster der Klimaschutz-Initiative der EU-Kommission „Mayors Adapt“ beigetreten und wird somit der Vorbildfunktion ein weiteres mal gerecht, da damit die Verpflichtung eingegangen worden ist, die Klimaschutzaktivitäten noch zu intensivieren. Mit dem Zusammenhang von Geldanlagen und damit realisierbare Steuerungs- bzw. Gestaltungsmöglichkeiten haben wir uns in der Vergangenheit in Münster schon öfters beschäftigt. Z.B. erinnere ich mich an eine Podiumsdiskussion vor gut zwei Jahren zum Thema „Wie radioaktiv ist meine Bank“. Die Veranstaltung war sehr gut besucht. Interessant war vor allem, dass wir mit dem Thema eine breite Zielgruppe angesprochen haben. Ich habe den Eindruck, dass neben dem bewussten Einkauf von Gütern wie beispielsweise von Lebensmitteln in Bioläden, die Verbraucherinnen und Verbraucher zunehmend auch erkannt haben, dass sie ihr Geld nicht jeden schmutzigen Konzern zur Verfügung stellen wollen. Ich bin davon überzeugt, dass im Bewusstsein der Stadtgesellschaft ethische und ökologische Kriterien zunehmend an Bedeutung gewinnen. Viele Menschen fürchten sich vor den Risiken der Atomkraft und der Klimakatastrophe. Deshalb ist es nur konsequent, dass die Stadt Münster bei ihren Geldanlagen darauf achtet, auf kohlenstoffintensive Finanzanlagen zu verzichten. Zu beachten ist zudem, dass neben drei anderen Städten und vier Kommunalverbänden die Kämmerei im Jahr 2014 zur „Elite der kommunalen Vermögensverwalter“ gekürt worden ist. Diese Kompetenz wollen wir nutzen! Aus finanzpolitscher Sicht ist es zudem geboten, auf Risiken wie die„Kohlenstoffblase“ frühzeitig zu reagieren, um Risiken für private und öffentliche Anleger zu minimieren. Wenn – hoffentlich recht bald – wirksame internationale Klimaschutzregeln beschlossen werden, können wir in diesem Marktbereich erhebliche Kursverluste erwarten.

War das schon Thema im Wahlkampf? Und wie ließ sich dieses – relativ komplexe – Thema kommunizieren.

Im Kontext der Erstellung des Wahlprogramms (ca. Februar 2014) für die Kommunalwahl im Mai 2014 ist aus der Grünen Energie-AG in Kooperation mit den Grünen lokalen Finanzexperten sowie den Akteuren von fossil free das Thema platziert worden. Es war damals nicht einfach, ein so komplexes Thema der Mitgliedschaft näher zu bringen. Diskutiert wurde insbesondere über die Reichweite eines Ausstiegs aus „schmutzigen Geldanlagen“. Eine Stadt wie Münster hat eine sehr differenzierte Struktur mit vielfachen Beteiligungen. Wir haben deshalb darüber debattiert, ob wir der örtlichen Sparkasse auferlegen können, nur noch ethische und ökologische Fonds zu verkaufen. Oder welche finanziellen Auswirkungen eine veränderte Anlagestruktur bei den Stiftungen der Stadt Münster hat.
Als Ergebnis der Diskussion haben wir uns verständigt, zunächst im Kernhaushalt der Stadt Münster eine Initialzündung zu forcieren. So auch unser aktueller Antrag im Stadtrat zum Divestment.
Unser Antrag zielt darauf ab, dass bei der Zeichnung von Fonds aus Kernhaushalt der Stadt Münster konsequentes Eintreten für Menschenrechte und Klimaschutz auch bei den Finanzen ermöglicht wird . Als ethische und ökologische Mindeststandards gelten folgende Prinzipien. Die gezeichneten Spezialfonds der Stadt Münster werden künftig keine Beteiligung an Unternehmen enthalten,
a) die Kinderarbeit zulassen, b) die Militärwaffen herstellen oder vertreiben, c) deren Geschäftsgrundlage auf der Extraktion, Veredelung oder dem Vertrieb von nuklearen oder fossilen Energieträgern (Ausnahme: Erdgas) sowie der Energieerzeugung beruht, d) die „Schiefergasgewinnung („Fracking“) betreiben.

Mittelfristig soll darüber hinaus die Finanzverwaltung der Stadt Münster nach Anlageformen suchen, die noch weitergehendere ethische und ökologische Grundsätze verfolgen. Solche wären der Ausschluss von Beteiligungen an Firmen, die Pflanzen oder Saatgut gentechnisch verändern, Tierversuche bei Kosmetika durchführen oder denen eklatante Bestechungs- oder Korruptionsfälle nachgewiesen wurden.

Wie hoch schätzt Du den Kapitalanteil der Stadt Münster direkt oder indirekt in der Öl, Kohle und Gas Industrie, auf denen die Grünen nun mit Ihrer Initiative zielen?

Es ist es schon eine Herausforderung zu durchschauen, wo bei städtischen Töchtern überall liquide Mittel angelegt werden. Teilweise handelt es sich bei den Anlagen ja aufgrund des gegenwärtig niedrigen Zinssatzes oder fehlender Liquidität nur um kurzfristige Anlagen, bei den Stiftungen jedoch auch um längerfristige Anlagen. Wir haben uns deshalb im ersten Schritt auf einen Wechsel bei der Absicherung der Pensionslasten dem sogenannten Pensionsfond konzentriert. Bei einem zugrunde liegenden Gesamtanlagevermögen von ca. 3,5 Mrd. EUR beträgt der in Fonds gebundene Anteil rd. 0,3 %. In dieser Größenordnung dürfte der Kapitalanteil aber bei allen Städten und Gemeinden liegen, womit wir Deutschland weit über einen riesigen Anlagebetrag sprechen. Die Finanzanlagen der Stadt Münster zur Absicherung der Pensionslasten werden im wesentlichem in zwei Fonds mit einem absoluten Volumen in Höhe von rd. 10 Mio. EUR angelegt. Zu beachten ist, dass in NRW seit Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 11.12.2012 die Gemeinden und Gemeindeverbände in NRW über liquide Mittel, die nicht zur Sicherung der Liquidität und zur Zahlungsabwicklung benötigt werden, in eigener Verantwortung über die Grundsätze der Kapitalanlagen entscheiden können. D.h. der Rat der Stadt kann die Kriterien bzw. Prinzipien festlegen.

Von welcher Art von Einlagen sprechen wir hier- und welche Unternehmen stecken dahinter? Sind das nur multinationale Energieversorger oder finden sich dabei auch regionale oder lokale Verschmutzer?

Es handelt sich um dem Westfälischen-Versorgungsrücklage-Fonds (WVR) an dem die Stadt Münster gemeinsam mit sechs weiteren Großstädten Anteile hält und dem Versorgungs- und Sanierungsfond (VUS), den die Stadt Münster für die Kernverwaltung und die eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen führt. Die Fonds wurden errichtet auf der Grundlage von Ratsbeschlüssen in 1999 (WVR-Fonds) bzw. im Jahr 2000 (VUS-Fonds). Beide Fonds beinhalten Aktien von multinationalen Energieversorgern wie z.B. RWE und OMV. Beide Energieriesen produzieren bekanntlich nach wie vor den größten Teil der Energie mit mittels fossilen oder nuklearen Energieträgern. Das ist aus unserer Sicht untragbar!

Wie schnell konntet ihr eine Übereinkunft mit Eurem Koaliationspartner SPD erreichen? Wie verliefen die Debatten dazu?

Nach ausgiebigen Diskussionen haben wir mit der SPD eine inhaltlich gute Vereinbarung getroffen, die ja auch sechs Jahre bestand haben soll (Hintergrund: die nächste Kommunalwahl ist erst 2020). Im Kooperationsvertrag mit der SPD haben wir u.a. festhalten können: „Wir werden prüfen, wie die vorhandenen Pensionsfonds unter Berücksichtigung von ethischen und ökologischen Kriterien umgeschichtet werden können.“ Mit Blick auf den Bund denke ich, dass dieser Schritt von der örtlichen SPD ein mutiger Schritt ist.

Gibt es Reaktion aus der regionalen und lokalen Wirtschaft und von der Bürgerschaft?

Wir hatten vor einigen Wochen in Münster ein Unwetter mit sehr starken Regefällen. Zwei Menschen mussten sterben und in vielen Haushalten richtete das Unwetter verheerende Schäden an. Viele Münsteranerinnen und Münsteraner ärgern sich deshalb über die Machenschaften der großen Energieversorger. Wir haben in Münster eine aktive Bürgerschaft, die sehr gut vernetzt ist und das lokale Geschehen mitgestaltet und verfolgt. Von Initiativen wie fossil free sind wir bei der Umsetzung des Antrags „Konsequentes Eintreten für Menschenrechte und Klimaschutz – auch bei den Finanzen“ sehr gut unterstützt worden. Ich bin mir sicher, dass das Thema in der Stadtgesellschaft noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Es geht uns nicht nur um die ethischen und ökologischen Geldanlagen bei den Pensionsfonds, mittelfristig haben wir alle Beteiligungen im Blick. Aber auch die Konsumenten sollten von der örtlichen Sparkasse bei ihrer Geldanlage gezielter darüber informiert werden, dass es bei der Geldanlage nicht nur um das Renditerisiko geht, sondern dass sie mit ihrer Geldanlage auch über das Gerechtigkeitsrisiko und Klimaschutzrisiko entscheiden. Der Sparstrumpf der Verbraucherinnen und Verbraucher ist mehrere Billionen EUR groß.

Wo wird Münster in Bezug auf die Zusammensetzung seines Haushalts im Jahr 2020 stehen? Was wird sich für Münster, für euch Grüne und für die Münsteraner Wirtschaft ändern.

Wir verfolgen das Ziel bis 2020 einen ausgeglichen Haushalt zu realisieren. Gegenwärtig hat Münster ein strukturelles Defizit von rd. 30 Millionen p.a. und eine Gesamtverschuldung von über 700 Mio. EUR. Damit stehen wir im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland noch relativ gut da. Aber ein strukturelles Defizit von 30 Mio. EUR abbauen (von einem 1 Mrd. großen Haushalt) und gleichzeitig wichtige Herausforderungen wie z.B. die Verringerung von Armut in der Stadt sowie die Reduzierung der CO2-Ausstosses auf den Weg zu bringen, ist für die kommunale Politik impertinent. Mit Blick auf den Bundeshaushalt möchte ich anmerken: „Es hilft Deutschland wenig, wenn Herr Wolfgang Schäuble sich für einen ausgeglichen Haushalt feiern lässt, wenn draußen vor der Tür, die wirklichen Herausforderungen in der Gesellschaft nicht realisiert werden können“.

Nimmt Münster hier aufgrund seiner Anlagen eine spezielle Rolle ein oder ist euer Divestmentvorstoß etwas, was in andere Kommunen übertragbar wäre?

In Nordrhein-Westfalen kann aufgrund des eben genannten Erlasses jede Stadt bzw. jede Gemeinde den Münsteraner Weg gehen. Wir hoffen auf viele weitere Akteure und Unterstützerinnen und Unterstützer. Der Münsteraner Divestmentvorstoß ist eine Einladung an jede Innenministerin bzw. jeden Innenminister, die Türen für die Kommunen zu öffnen und an jede Kämmerin bzw. Kämmerer sich auch in die Liga der besten Vermögensverwalter zu begeben.

 

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OTTO REINERS wurde 1962 in Papenburg geboren und ist wohnhaft in Münster. Schon seit den 90er Jahren ist er Mitglied bei den Grünen. Der ausgebildete Hotelfachmann ist studierter Oecotrophologe, Betriebswirt und hält einen Master of Arts in Organization Studies der Uni Hildesheim. Von 2006 bis 2011 war er Referatsleiter im Bereich Personal und Finanzen. Seit 2005 ist er zudem Referatsleiter für den Bereich Wirtschaft und Finanzen für Krankenhäuser und Gesundheitswesen. Er ist Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Münsteraner Stadtrat. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Finanz-, Arbeit-, Sozial- und Verbraucherschutzpolitik.

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