#19 Bütis Woche: Der Papst war da: Was bleibt?

Vor 26 Jahren war zum letzten Mal ein Papst im europäischen Parlament in Straßburg. Der damalige Amtsträger, Johannes Paul II, sprach vor den 518 Abgeordneten aus 12 europäischen Mitgliedsländern. Unter anderem über Europas Geschichte, Geografie und die Souveränität seiner Institutionen. Er sprach, bevor noch die großen Umwälzungen des Wunder-Jahres 1989, an denen dieser polnische Papst einen geistigen Anteil hatte, den Kontinent fundamental veränderten.

Großer Bahnhof für Franziskus

Sein Nach-Nachverfolger sprach jetzt zu 751 Abgeordneten aus 28 Mitgliedsländern. Schon darin drückt sich die historische Zäsur aus. Das Europäische Parlament war gefüllt wie selten. Angeblich verfolgten 900 Journalisten das Geschehen. Das besondere des Augenblickes kam auch darin zum Ausdruck, dass neben der vollständigen Kommission mit Kommissionspräsident Juncker und Vizepräsident Timmermans an der Spitze auch Ratspräsident van Rompuy und Ministerpräsident Renzi aus Italien anwesend waren.

Papst Franziskus hielt eine Rede, die auf drei verschiedenen Ebenen Wirkung zu erzielen suchte: Er sprach über aktuelle gesellschaftliche und politische Fragen, er sprach über die Idee Europas und er sprach über die religiös-philosophische Verankerung von Politik, die sein eigentliches Thema war.

Viel Beifall

In Bezug auf die aktuellen Fragen, die der Papst ansprach, wechselte der Beifall je nach Thema. Gegen Arbeitslosigkeit und für Respekt vor den Arbeitenden gab es Beifall von Links; gegen Abtreibung Beifall von Rechts; für erneuerbare Energien Beifall bei uns Grünen und unseren wenigen Verbündeten; für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen Beifall von allen Seiten, einschließlich der Mehrheitsfraktion der Heuchler. Mit elementarer Kraft brachte der Satz „Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer ein großer Friedhof für Flüchtlinge wird“ fast alle zum Beifall.

Ich hatte nicht den Eindruck, als habe der Papst da eine politisch gefärbte Agenda vorantreiben wollen. Eher versuchte er, diplomatisch geschickt alle Seiten anzusprechen. Wenn ich recht sah, gab es im ganzen Haus nur eine Person, die nicht ein einziges Fall die Hand zum Beifall rührte, und das war Nigel Farage.

Europa

Über Europa sprach der Papst als über die ermattete “Großmutter“, die nicht mehr „fruchtbar und lebendig“ sei. Ich kam nicht umhin, mir diese ängstliche, niedergeschlagene, höherer Hoffnung beraubte, von Altersschwachheit geplagte Großmutter auf dem berühmten Stier, dem verwandelten Zeus, vorzustellen, der sie raubt. Schrecklich.

Der Papst sprach gewiss nicht abfällig über Europa, sondern mehr wie über eine erloschene Liebe, deren Wiederbelebung zweifelhaft ist. Ich bezweifele, dass er ein einziges Mal sagte oder nahelegte, dass Europa Hoffnung repräsentiere, obwohl er mehrfach zum Ausdruck brachte, dass Europa Hoffnung repräsentieren könne. Ohne dass er verletzende oder scharf verurteilende Worte benutzt hätte, entstand in der Rede des Papstes das Bild eines Europas, das nur durch fundamentale Umkehr wieder zu sich und seiner „Seele“  finden könne.

Die Würde des Menschen

In der dritten Dimension seiner Rede sprach Papst Franziskus über die Würde des Menschen als Anker aller Gesellschaft und Politik. Er leitete unsere Vorstellung von der Würde des Menschen nicht nur aus dem Christentum ab, sondern erwähnte die Antike oder germanische und keltische Quellen; den Beitrag des Islam zur Kultur des Abendlandes – Avicenna! – erwähnte er nach meiner Erinnerung nicht. Er balancierte zwischen der Beschreibung des Christentums als Seele Europas und einer allgemeinen Betonung von Transzendenz, die er bewusst für verschiedene Interpretationen offenhielt. Er forderte ein großes Umdenken ein, weg von Materialismus, Technokratie und Konsumismus, weg vom Götzendienst an der Wirtschaft, hin zur „Heiligkeit der menschlichen Person“.  In der Materialismuskritik, die er formulierte, gab es „rechte“ wie „linke“ Momente. Deswegen konnten sehr viele Seiten klatschen. Aber er konnte und wollte natürlich nicht verbergen, dass er seine Religion für den Eckpfeiler der nötigen Erneuerung hält. Da war der Papst halt doch Papst der römischen Kirche.

Lange habe ich keinen Konservativen mehr mit so viel Emphase von der Würde des Menschen reden hören. Das bleibt. Und lange habe ich keinen Konservativen so fundamental in der Sache über die notwendige Umkehr Europas reden hören. Das bleibt auch.

Foto CC-BY-NC-ND European Parliament