Jyrki Katainen, der ehemalige finnische Ministerpräsident, wird neuer Vize-Präsident der Europäischen Kommission. So viel stand fest noch bevor die Koordinatoren und Koordinatorinnen der Ausschüsse für Wirtschaft, Industrie und Beschäftigung über eine gemeinsame Stellungnahme entschieden.
In der Besprechung nur unter den Kolleginnen und Kollegen des Industrie-Ausschusses wurde deutlich, dass die sozialdemokratische Fraktion sich nicht traut, Katainen zur Disposition zu stellen. So sprachen sich außer uns Grünen nur die Abgeordneten von Linksfraktion und Cinque Stelle gegen ihn aus. Wohlgemerkt: Katainen ist zweifellos qualifiziert Kommissar zu sein, aber er ist leider eine Fehlbesetzung für das Amt des Vize-Präsidenten für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit. In dieser Funktion soll er insbesondere das von Kommissionspräsident Juncker vor dem Europäischen Parlament versprochene 300-Milliarden-Investitions-Programm koordinieren, mit dem der europäischen Wirtschaftspolitik neue Akzente verliehen werden sollen.
Präsident Juncker hatte versprochen, im Umfang von 300 Milliarden Euro öffentliche und private Mittel für Investitionen zu mobilisieren. Die grosse Frage an Katainen, die auch ich ihm stellte, war daher: Woher kommen die zusätzlichen öffentlichen Mittel? Juncker hatte ausdrücklich von “zusätzlichen Mitteln” gesprochen. Die Frage wurde Katainen vielfach in vielen Sprachen und aus vielen Fraktionen gestellt. Er verstand es, darauf konsequent undeutlich zu antworten und dabei doch erkennen zu lassen, was seine Position ist. Er will keine öffentlichen Mittel zusätzlich für Investitionen mobilisieren.
Während Juncker die Vordringlichkeit von Investitionen betont hatte, betonte Katainen die Vordringlichkeit der Vermeidung neuer Schulden. Katainen signalisierte, er könne sich durchaus vorstellen, dass Staaten, die wirtschaftlich gut da stehen, wie Deutschland, zusätzliche Investitionen finanzieren. Aber dafür ist er ja nicht zuständig, und da war’s dann auch schon. Auf offener Bühne wurde so vor den Mitgliedern des Wirtschafts-, des Industrie- und des Beschäftigungs-Ausschusses Junckers Versprechen zur Luftblase gemacht.
Ich hatte von Katainen nicht viel anderes erwartet. Er galt schließlich schon aus seiner finnischen Zeit als entschiedener Austeritätsbefürworter. Bemerkenswert waren nur zwei Aspekte der dreistündigen Befragung. Auf der einen Seite konnten konservative Austeritäts-Fans von Christdemokraten bis zu Tories ihre Genugtuung nicht verbergen, dass sich da andeutete wie zwischen wesentlichen Teilen der Kommission, des Parlaments und des Rates der notwendige Kurswechsel in der europäischen Wirtschaftspolitik hin zu Investitionen, ausgebremst werden soll. Auf der anderen Seite verblüffte die halbgare Haltung der sozialdemokratischen Fraktion, die zwar Katainen’s Weigerung, die Investitionspriorität ernst zu nehmen, zum Teil wütend angriff, aber nie auch nur ansatzweise signalisierte, dies könne seine Bestätigung als Vize-Präsident der Kommission gefährden. Konsequenterweise erklärte dann auch in der internen Beratung des Industrie-Ausschusses, nachdem Grüne, Linke und EFDD sich gegen Katainen ausgesprochen hatten, der sozialdemokratische Vertreter, man sei noch in der Positionsfindung. Naja. Wahrscheinlich haben sie auf diese Weise ihrem schwachen Genossen Moscovici sein Amt gerettet.
Dass Jyrki Katainen besondere Aufmerksamkeit auf die ökologisch-transformatorische Dimension der Wirtschaftspolitik richten werde, darf man nach der Anhörung auch nicht erwarten. Er sagte zweimal “Nachhaltigkeit” und zweimal “nachhaltiges Wachstum” und hakte nach dem übrigen Bullshit-Bingo auch noch ein paar andere Standardbegriffe ab. Aber dass er verstanden hätte, wie fundamental künftige Wettbewerbsfähigkeit und künftige Jobs von einer nachhaltigen Umgestaltung der Wirtschaft abhängen, das vermittelte er nicht.
Ich will damit Präsident Junckers 300 Milliarden Programm noch keineswegs beerdigen. Was am Ende daraus wird, hängt nicht nur von der Kommission ab. Aber wir werden sehr in die Eisen steigen müssen, damit diesmal mehr herauskommt als das berüchtigt-lächerliche “Wachstums”-Programm, das Bundeskanzlerin Merkel 2012 dem neu gewählten französischen Präsidenten Hollande als durchsichtiges Feigenblatt andrehte.