Lauter beste Freunde
Wie Obama eine alte Partnerschaft neu entdeckt
Dem Vernehmen nach brachte US-Präsident Obama zum jüngsten EU-USA-Gipfel eine Delegation von 900 Personen nach Brüssel. Das Gipfeltreffen selbst dauerte dann anderthalb Stunden, Mittagessen eingeschlossen. Am Ende gab es ein schönes Bild, auf dem es so aussah, als habe Obama zwischen Barroso und van Rompuy erfolgreich ermittelt. Ein gemeinsames Communiqué listete in 33 Punkten zahlreiche Felder transatlantischer Kooperation auf. War das nun tatsächlich eine Wende zum Besseren im transatlantischen Verhältnis?
Nach dem Medienecho fragt man sich ein Tag danach verwundert, ob die zahlreichen Kontroversen und Konflikte zwischen den transatlantischen Partnern in der jüngeren Vergangenheit nur hypochondrische Einbildungen waren, für die es jetzt angesichts der Dramatik des Ukraine/Krim-Konfliktes einfach keinen Raum mehr gibt.
Nein, die Probleme waren real. Sie sind real. Sie haben sich nicht einfach in Luft aufgelöst. Man wird an Ihnen sorgfältig arbeiten müssen, damit sie nicht rächend zurückkehren. Aber es gibt eben auch einen neuen, positiveren Ton, den man seit einiger Zeit nicht gehört hatte. Dazu hat sich Obama ein kleines Stückchen bewegt. Das ist gut, es muss jedoch mehr folgen.
Präsident Obama ist in seinem fünften Jahr endlich zur EU nach Brüssel gekommen. Das war lange überfällig und ist als kleines Signal zu sehen. Leider hat er sich nicht getraut, einen größeren Schritt zu machen. Die europäische Diplomatie hätte ihn gerne vor einer Sondersitzung des Europäischen Parlamentes eine Rede halten lassen. Das Weiße Haus blockte. Hatte man am Ende vor kritischen Zwischenrufen Angst? Die Symbolik eines Zusammentreffens mit dem Europäischen Parlament im Jahr der Europawahl wäre sehr positiv gewesen. Für beide Seiten. Schade um die verpasste Chance.
Trotzdem: Obama setzte einige Zeichen, die durchaus aufmerken lassen. Als Großmeister des Inkrementalismus hat er diese allerdings sehr sorgfältig dosiert. So sprach er öffentlich die Sorge vieler Europäerinnen und Europäer an, dass bei dem derzeit verhandelten Transatlantischen Freihandelsabkommen Verbraucherschutzstandards unter die Räder kommen könnten. Er betonte auch, wie wichtig es ihm sei, als Befürworter aktiver Umweltpolitik und Klimapolitik wahrgenommen zu werden. Und er verpflichtete seine Administration noch einmal ausdrücklich auf das 2-Grad Ziel für die Klimapolitik. Aber er sorgte eben auch dafür, dass in der Abschlusserklärung deutlich wurde: es wird 2015 bei der Pariser Klimakonferenz einen völkerrechtlichverbindlichen Vertrag mit den USA nicht geben.
Auch bezüglich der Debatte um massenhafte elektronische Ausspitzelung von Europäerinnen und Europäern durch amerikanische Geheimdienste, vor allem die NSA, brachte Obama nach Brüssel keine Gastgeschenke mit. Er ließ zwar das Gerücht streuen, es könne vielleicht schon diesen Sommer den Entwurf eines transatlantischen Datenschutzrahmenabkommens geben, aber dass in Zukunft wir Europäer gegenüber der elektronischen Überwachung dieselben Garantien bekommen sollten, wie er sie seine Mitbürgern in Aussicht stellte, das versprach er nicht.
Das hohe Lied von TTIP, dem transatlantischen Freihandelsabkommen, zu singen, hatten schon vor dem Gipfel beide Seiten offensichtlich als gemeinsame Priorität verabredet. EU-Kommissionspräsident Barroso tat das, wie man es von ihm gewohnt ist, besonders großspurig und grobschlächtig. Doch die Grundmelodie beider Seiten war dieselbe. Es war die verlogene Mär, das allen Verbrauchern am meisten geholfen wäre, wenn die Lobbyinteressen großer Konzerne optimal befriedigt würden. Obama und seine europäischen Partner scheinen noch nicht begriffen zu haben, wie sehr TTIP vom Scheitern bedroht ist, wenn man an dieser Herangehensweise festhält. Da hat sogar der republikanische ehemalige Weltbankpräsident Bob Zoellick mehr geschnallt als das demokratische Weiße Haus. Zoellick sprach sich immerhin dafür aus, die vorgesehenen Investitionsschutzprivilegien für Konzerne, bekannt unter den Kürzel ISDS, von der TTIP Agenda zu streichen. Das ist längst unumgänglich. Obamas Rhetorik, die sich erkennbar um etwas Verständnis für die Sorgen europäischer Verbraucher bemühte, bleibt unglaubwürdig, solange sie gleichwohl an der TTIP Agenda faktisch nichts ändert. Washington wird doch nicht ernsthaft glauben, wir Europäer ließen uns jetzt wegen Putins Ukraine-Aggression bereitwillig etwas aufschwatzen, das bisher trotz aller großartigen Versprechungen über darin angeblich begründete Wachstumschancen einfach keine Zugkraft entwickelt hat.
Viele andere Punkte ließen sich nennen, an denen USA und Europa auch nach diesem Gipfel im Schnellwaschgang weiter miteinander nicht nur reden, sondern auch streiten werden. Zum Beispiel hat mich verwundert, dass Obama jetzt wieder die alte Leier von höheren europäischen Rüstungsausgaben anschlug, obwohl vor nicht allzu langer Zeit sein eigener Verteidigungsminister diese abgedroschene Melodie als unrealistisch verabschiedet hatte.
Doch bei allen Schwierigkeiten, es bleibt dabei: Obamas Besuch war der vorsichtige Versuch, überhaupt wieder aktiv an der Entwicklung transatlantischer Gemeinsamkeit zu arbeiten. Für die gemeinsame Haltung der EU in der Krim-Krise gab es amerikanische Anerkennung in einem Maß wie lange nicht. Der erste pazifische Präsident der USA ist, so scheint es, dabei stärker als bisher zu realisieren, dass sein Land die Rolle als aktive, gestaltende atlantische Macht nicht hinter sich lassen kann.
Es wird wieder spannender transatlantische Themen zu bearbeiten.
In dieser Hinsicht hat Präsident Putin gewiss einen grandiosen strategischen Sieg errungen.