Schiefergas ist umstritten. Darin ist man sich einig. Doch wie weiter? Die neuesten Studien der EU, des Umweltbundesamts und des Umweltministeriums in NRW kommen zu dem Schluss das Regelwerk müsse für die Förderung von Schiefergas angepasst werden. Zu diesem Thema schrieb ich letzte Woche in der Süddeutschen Zeitung einen Meinungsbeitrag.
Schiefergas: Es ist nicht alles grün was glänzt
Schiefergas erlebt in den USA seit 2005 einen regelrechten Boom und bewirkt eine Energiewende ganz eigener Art. Andere Länder, wie China und Argentinien, haben sich entschieden, dem Trend zu Schiefergas zu folgen und fördern es in großen Mengen.
Auch in Deutschland wird über Schiefergas-Förderung nachgedacht. Denn laut Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe liegen hier rund 13 Billionen Kubikmeter im Boden. Zum Vergleich: der jährliche Bedarf an Erdgas liegt in Deutschland bei ca. 100 Milliarden Kubikmetern. Besonders hoch sind die Vorkommen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. In Deutschland gab es bisher nur Erkundungsbohrungen. Förderungsbohrungen wurden aufgrund starker öffentlicher Kritik, auch von grüner Seite, noch nicht genehmigt.
Die Diskussion um das Pro und Contra von Schiefergasförderung hat längst die Europäische Union erreicht. Befürworter sehen das Gas als Garant für Energiesicherheit und als eine günstige Energieressource, welche die Wettbewerbsfähigkeit steigern könne. Basierend auf dem Argument, Schiefergas verursache weniger CO2-Emissionen, sprechen sogar manche Stimmen vom „grünen Gas“. Auch der Industrieausschuss des Europäischen Parlaments verabschiedete am 18. September einen Bericht, in dem diese Sichtweise unterstützt wird.
Es ist aber nicht alles grün, was glänzt. Zum einen sind die bei der Schiefergasförderung eingesetzten Chemikalien höchst umstritten und können das Grund- und Trinkwasser stark verunreinigen. Schiefergasbohrungen haben negative Konsequenzen für die lokale Bevölkerung. Zum dritten ist das durch Leckagen entweichende Methan um einiges klimaschädlicher als CO2. Der Energiewende kommt Schiefergas auch nicht zu Gunsten. Eine Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) kam zu dem Ergebnis, dass eine tatsächliche „Schiefergas-Revolution“ zu einer Klimaerwärmung von 3,5 Prozent führen würde, womit das Ziel von 2 Prozent deutlich überschritten wäre. Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) kommen in einer neuen Studie zum Schluss, dass eine umfangreiche Förderung von Schiefergas die Investitionen in die Entwicklung von Erneuerbaren Energien in erheblichem Umfang verdrängen würde. Das Argument, Schiefergas sei die neue Wunderwaffe gegen Europas Abhängigkeit von russischem Gas scheint auch mehr auf Hoffnung als auf der Realität zu basieren. Eine Studie der EU-Kommission belegt, dass Europa selbst mit einer ambitionierten Schiefergas-Erschliessung weiterhin 60% seines Erdgasbedarfs importieren müsste.
Einige EU-Länder haben aus den Risiken der Förderung bereits Konsequenzen gezogen: In Bulgarien wurde nach Protesten mit breiter Bürgerbeteiligung der Vertrag zwischen dem Ölkonzern Chevron und der bulgarischen Regierung zur Förderung von Schiefergas als verfassungswidrig erklärt. Auf öffentlichen Druck hin verbot das bulgarische Parlament im Januar 2012 die Förderung. Frankreich hatte bereits zuvor die Bohrungen nach dem Gas untersagt und die Niederlande verhängten ein Moratorium bis Ende dieses Jahres um die Auswirkungen der Schiefergasbohrungen zu prüfen. In Rumänien und der Tschechischen Republik wird ebenfalls über ein Moratorium diskutiert. Auch in Deutschland hat der Widerstand von Umweltschutzverbänden zu einem Moratorium in NRW geführt. In Baden-Württemberg wird bereits über strengere Regeln diskutiert und in Thüringen und Bayern über ein Verbot nachgedacht.
Um die Risiken der Schiefergasförderung zu minimieren, braucht es einen sicheren Rechtsrahmen, der den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger Europas gerecht wird. Leider wurde das EU-Rahmenwerk für den Umweltschutz bei der Förderung von Schiefergas bisher nicht angepasst und die Notwendigkeit einer solchen Anpassung sogar bestritten. Energiekommissar Günther Oettinger gab 2011 eine Studie in Auftrag, welche die EU-Gesetzgebung für die Förderung überprüfen sollte. Die Studie kam zu der Erkenntnis, dass das gegenwärtige Rahmenwerk für Schiefergas an einigen Stellen angepasst werden müsse. Kommissar Oettinger äußerte sich dagegen eher fahrlässig mit der Erklärung, dass die Gesetzgebung den Risiken der Schiefergas-Förderung gerecht werde. Auch der kontroverse Schiefergasbericht des Industrieausschusses des Europaparlaments, welcher mit keiner großen Mehrheit verabschiedet wurde, meint, das gegenwärtige Regelwerk reiche aus. Die jüngsten Gutachten der EU-Kommission, des Umweltbundesamts und des Bundesumweltministerium zur Fracking-Technologie kommen allerdings zu einem anderen Ergebnis. Sie bestätigen, dass regulatorische Defizite bestehen und dass der rechtliche Rahmen angepasst werden muss. Dazu gehören zum Beispiel obligatorische Umweltverträglichkeitsprüfungen vor der Schiefergasförderung, ein transparenter und sicherer Umgang mit den Chemikalien sowie eine bessere Bürgerbeteiligung.
Wann werden endlich Schlüsse aus allen diesen Studien gezogen?
Es ist höchste Zeit, dass die EU-Kommission eine bessere Rahmengesetzgebung entwirft. Orientieren könnte sie sich dabei an der UBA Studie sowie an den so genannten „goldenen Regeln“ der IEA. Diese fordert, den Fokus auf Nachhaltigkeit zu legen, eine Verbesserung der Bohrtechnik zur Vermeidung von Methanemissionen, einen sparsamen Wasserverbrauch und die Überprüfung des Chemikalieneinsatzes inbegriffen. Die US-amerikanische Umweltschutzagentur hat vor kurzen auch neue Regeln geschaffen, welche Unternehmen verpflichten, die flüchtigen Methanemissionen abzufangen. Warum sollte die EU dahinter zurückbleiben? Fortschritte in der Technik machen mittlerweile sogar Förderungen ohne den Einsatz von Chemikalien möglich – auch das könnte zur Bedingung in einer europäischen Rahmengesetzgebung gemacht werden. Solange der Schiefergasrechtsrahmen sich den Problemen nicht stellen kann, sollte die Förderung ausgeschlossen werden. Doch es braucht wohl noch mehr öffentliche Einmischung, damit die EU-Kommission aufhört, ihre Augen und Ohren vor den Einsichten der Gutachten zu verschließen.
Die PDF des Meinungsbeitrags findet ihr hier.
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