Bütis Woche, 14. Dezember 2011: EU-Haushalt ist kein Steinbruch für die Rüstungsindustrie!

Eine Rolle rückwärts war die heutige Abstimmung des Europäischen Parlaments zum Bericht über die Auswirkungen der Finanzkrise auf den Verteidigungssektor. Eine Große Koalition aus Sozialdemokraten, der Europäischen Volkspartei und auch den Liberalen hat sich dafür ausgesprochen, den Haushalt der EU für die Rüstungsindustrie zu öffnen. Mit dem heutigen Votum zum sogenannten Lisek-Bericht hat die Parlamentsmehrheit in Zeiten knapper Kassen viel Chuzpe an den Tag gelegt und noch dazu das enorme Sparpotential einer engeren europäischen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich verkannt.

 

Bereits seit über einem Jahr diskutiert der Rat der Verteidigungsminister über Wege der engeren Koordinierung, um die dringendsten Lücken bei den militärischen Fähigkeiten der EU-Staaten zu schließen. Alle Zeichen sollten so konnte man hoffen, auf “pooling and sharing” stehen. Denn durch diese Methode können die Mitgliedsstaaten ihre Kapazitäten bündeln und gemeinsam nutzen, und die beträchtlichen Doppelungen, d.h. die derzeitige Verschwendung im Militärbereich abbauen. Eine Kooperation der EU-Mitgliedsstaaten über nationale Grenzen hinweg kann sehr praktisch Anwendung finden. Die Vorzüge liegen auf der Hand: Durch Projekte des “pooling and sharing” wird die militärische Integration in der EU vertieft.

 

Der Rat der Verteidigungsminister hat es allerdings bisher versäumt, für Pooling and Sharing-Projekte einen konkreten Zeitplan vorzulegen und hat das Dossier über ein Jahr lang wie eine heiße Kartoffel von einem Meeting zum nächsten weitergereicht. Daher stellte der aktuelle Parlamentsbericht aus Grüner Sicht eine höchst willkommene Gelegenheit dar, die Ministerrunde wachzurütteln und aufzufordern, konkrete Projekte anzuschieben.
Zwar spricht sich der Lisek-Bericht erfreulicherweise für eine gemeinsame strategische Verteidigungsplanung und Defence Reviews der Mitgliedsstaaten aus, hierzu soll das Modell der “Europäischen Semester” befolgt werden. Höchst abwegig ist aber die heute verabschiedete Forderung der Parlamentsmehrheit, Rüstungsforschung von nun an aus dem Haushalt der EU finanzieren zu lassen und in das Horizon 2020-Programm aufzunehmen. Der Vorschlag brächte nicht nur enorme Kürzungen bei der zivilen Forschung mit sich und ist daher für uns Grüne nicht akzeptabel, er kommt mitten in der Eurokrise und angesichts der rigiden Sparpolitik der meisten EU-Staaten schlicht zur Unzeit. Darüber hinaus würde das frische Geld aus dem EU-Haushalt den Druck von den Mitgliedstaaten nehmen, ihre Forschungsaktivitäten im Militärbereich zusammen zu legen. Ebenfalls abwegig ist das Vorhaben, den EU-Sozialfonds und den Globalisierungs-Fonds für die militärische Umstrukturierung zu nutzen. Hier dachte der ein oder andere Abgeordnete gewiss an Selbstbedienung des eigenen Wahlkreises. Den Vogel schießt jedoch die geforderte EU-Finanzierung eines neuen militärischen Erasmus-Programms für Offiziersanwärter ab, die gar für eine “Gleichbehandlung” mit “zivilen” Erasmus-Studenten an allgemeinen Hochschulen sorgen soll.

 

Als skurril erwies sich schon vor dem Votum die letzte Aussprache im Ausschuss, als allein Grüne sich (gegen den erklärten Willen der Liberalen!) für Transparenz und Wettbewerb auf dem Rüstungsmarkt stark machten. Es erschien absurd, dass Konservative und Liberale, die noch vor Kurzen für die Einführung von mehr Transparenz und Wettbewerb im Rüstungsmarkt gekämpft haben und die Direktiven des Defence Packages mit zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht haben, sich nun für die Aufweichung dieser Regeln einsetzen. Bis zur Abstimmung blieb dieser Punkt spannend. Ich hatte bei einzelnen Abgeordnete aus anderen Fraktionen noch für die Beibehaltung der derzeitigen Wettbewerbsregeln geworben. Dann das knappe Ergebnis: 322 Abgeordnete sprachen sich für, 349 gegen die Aufweichung der Regeln auf. Also wenigstens dieser Unsinn wurde verhindert.

 

Auch wenn der verabschiedete Lisek-Bericht falsche Akzente setzt, eine von mir initiierte Studie verdeutlicht, wie wichtig das Thema “Pooling and Sharing” ist und von den EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten weiter verfolgt werden muss. Forscher der deutschen SWP-Stiftung, des polnischen PISM-Instituts sowie des französischen IRIS-Instituts haben drei Vorschläge unterbreitet, wie eine kurz- bis langfristige Zusammenarbeit des “Weimarer Dreiecks” aus Polen, Frankreich und Deutschland zu Projekten in der Verteidigungssektor aussehen kann. (Die Studie ist hier abrufbar).