Green New Deal: aber wie?

Reinhard Bütikofer  

Beitrag aus dem Jahrbuch Ökologie 2012 (Hrsg. Prof. Simonis et al.): Green New Deal: aber wie?


Green New Deal: aber wie?  


Der Green New Deal ist eine Transformationsstrategie hoher Aktualität, eine Sieg verheißende Revolution, die ihr revolutionäres Subjekt aber noch sucht. Es besteht trotz beeindruckend vieler Ansätze eine strategische Lücke, die erst noch geschlos­sen werden muss. 

 

Im September 2010 fand in Malaysia mit offizieller Unterstützung der Regierung ein Green-New-Deal-Kongress statt. Dieses Jahr kommt wieder einer. Hoppla, dachte ich, als ich das Titelblatt der Einladung dazu sah. Bei näherer Betrachtung legte sich die beginnende Begeiste­rung wieder: Tatsächlich handelte es sich um eine „International Greentech & Eco Products Exhibition & Conference“. 

 

Was sagt das, wenn der Green New Deal als Werbeslogan ge­braucht wird? Zeigt es die Kraft des Konzepts, oder spricht es dafür, dass sich diese Parole wunderbar als Allerweltsverpackung für grün aufgehübschtes Business-as-usual verwenden lässt? Material für zeit­geistig gewiefte Public Relations-Manager und Spin-Doktoren? 

 

Erwartungen …  


Als die Europäischen Grünen sich im Europawahlkampf des Jahres 2009 verabredeten, den „Green New Deal“ ins Zentrum ihres pro­grammatischen Angebots zu rücken, geschah das in der Hoffnung, damit eine neue, hegemonie-fähige Antwort auf die offenkundige, dreifache Krisensituation zu geben: auf die Finanzkrise, die ökologi­sche Krise und die mit beiden verbundene soziale Krise. Als Wahl­kampfkonzept funktionierte das und die deutlich gestärkt aus jener Wahl hervorgegangene grüne Europafraktion hat den Green New Deal seither auch als einen Schwerpunkt ihrer Arbeit weiter verfolgt. Doch von Hegemonie kann bei weitem keine Rede sein.
 

… und Realitäten


Die Antwort der Europäischen Union auf die Krise heißt „EU 2020“-Strategie. Darin finden sich zahlreiche Anleihen aus dem Arsenal des Green New Deal, aber die Strategie bleibt so halbherzig wie früher die sogenannte Lissabon-Strategie war. Halbherzig in den Zielen, halbher­zig in der Umsetzung, halbherzig auch dann, wenn das Europäische Parlament einen schönen Green-Jobs-Bericht verabschiedet. Denn der Bericht bleibt Papier.
Jahrbuch Ökologie 2012
Der Haushaltsentwurf der Europäischen Union für das Jahr 2012 enthält auch nicht ansatzweise die Ausgabeprioritäten, die sich eigent­lich aus der EU-2020-Strategie im Bereich der Energiepolitik ergeben müssten. Gleichzeitig blockieren die EU-Mitgliedsländer halbwegs ehrgeizige klimapolitische Ziele der Union. Die Europäische Kommis­sion kuscht; das Europäische Parlament benennt zwar höhere Ziele, hat aber die Kraft nicht, dafür zu kämpfen; die Öffentlichkeit findet das alles gerade nicht interessant. Green New Deal? Eher Grey Old Status Quo. 

 

Die USA …  


Green-New-Deal-Erwartungen haben sich auch anderenorts als über­höht erwiesen. Die USA wollen im zweiten Jahr von Obamas Amtszeit weniger von einem Green-New-Deal-Aufbruch wissen, als dessen Wahlkampf und Regierungsbeginn zu versprechen schienen. Die Ent­täuschung ist entsprechend groß. Klimapolitik: nächste Frage. Green Jobs: war mal so ´ne Idee. Makro-ökonomische Re-Regulierung: Wall Street ist gerade dabei zu zersetzen, was das Dodd-Frank-Gesetz an Erneuerung zustande brachte. Soziale Kohäsion: Schlimmer war es seit Jahrzehnten nicht.
 

… und China


Ex oriente lux? Auch nicht. Chinas 12. Fünf-Jahres-Plan setzt ehrgeizi­ge grüne Ziele beim Ausbau Erneuerbarer Energien. Schon jetzt hat das Land in diesem Bereich als Produzent den Rest der Welt hinter sich gelassen. Doch insgesamt hat sich, „harmonische“ Gesellschaft hin oder her, am „GNP-ism“, am Glauben an das Bruttosozialprodukt als zentrale Wachstumsphilosophie kaum etwas geändert. Und in den ersten Monaten des Jahres 2011 hat sich die Energieintensität des chi­nesischen Wirtschaftswachstums wieder erhöht.
 

Zwischenfazit


War der globale Green New Deal also ein Traum, der wieder zerron­nen ist? Nein, das auch nicht. Der Green New Deal ist eine Transfor­mationsstrategie, deren Aktualität unvermindert gilt. Aber er ist so etwas wie eine verheißungsvolle, sogar Sieg versprechende Revolution, die ihr revolutionäres Subjekt noch sucht.
Einzelne Avantgarden, die eine solche Transformation anführen möchten, sind durchaus auszumachen. Und das nicht nur bei NGOs oder in der Politik, sondern auch in Verwaltungen, unter Forschern,
gar in der Wirtschaft. Wenn man es erst einmal in den Blick fasst, fin­det man sogar beeindruckend viele Ansätze, Projekte, Beiträge, die zu einem Green New Deal gehören. Aber es gelingt noch nicht, sie strate­gisch wirksam zu verknüpfen.
 

Strategische Lücke


Als Berichterstatter des Europäischen Parlaments für die Rohstoffstra­tegie liegt mir das Thema Rohstoffe besonders am Herzen. Einige Bei­spiele aus diesem Bereich sollen daher hier als Anschauungsmaterial dafür dienen, wo ich die strategische Lücke sehe.
Das United Nations Environmental Programme hat im Mai 2011 ei­ne Studie des International Resource Panel veröffentlicht, in der unter anderem die Frage untersucht worden ist, wie stark 60 verschiedene Metalle global im Gebrauch sind und wie stark sie wiederverwertet werden (UNEP 2011). Für gerade einmal 18 von ihnen kommen die Forscher auf Recycling-Raten von über 50 %; bei den weitaus meisten dagegen liegen sie unter 1 %. Für eine Politik, die qua Green New Deal den Übergang zu einer kohlenstoff-armen Wirtschaft betreiben will, ergibt sich da ein weites Handlungsfeld.
Die Wissenschaftler plädieren für eine Kreislaufwirtschaft als Kern­antwort, benennen Forschung und Entwicklung, den Stopp illegalen Abfallexports und die Weiterentwicklung der Recycling-Regulierung als dringende Aufgaben. Sie treffen sich interessanterweise bei diesen Schlussfolgerungen ganz gut mit Forderungen, die der Verband der europäischen Nicht-Eisen-Metall-Industrie, Eurometaux, an die Politik stellt. Auch Umweltverbände wie das Europäische Umweltbüro (EEB) sind sehr sachkundig dabei, eine solche Agenda zu befördern. Doch ob es gelingt, im September 2011 im Europäischen Parlament eine Stel­lungnahme zur EU-Rohstoffstrategie zu beschließen, die diesem öko­logisch-innovativen Denken folgt oder ob der Widerstand obsiegt, der ökologische Innovation als Wirtschaftsrisiko sieht beziehungsweise schlicht entgegenstehende Interessen unter Schutz stellen will, das ist trotz dieser sich ergänzenden Beiträge so unterschiedlicher Akteure ungewiss. Und ungewiss ist auch, ob gegebenenfalls aus einem Be­schluss des Europäischen Parlamentes dann für das Handeln der Mit­gliedstaaten, auf die es ja ankommt, praktische Konsequenzen folgen.
 

Was fehlt?


Was also fehlt? Es gibt zwar ein gut begründbares Vorhaben, aber es gibt kein hinreichend starkes Narrativ. Der Green New Deal ist nicht
so sehr eine Idee, die die Massen ergreifen könnte, sondern mehr ein Konzept. Die vierte Dimension des Green New Deal, neben der mak­ro-ökonomischen, der industriepolitischen und der sozialen, nämlich die kulturelle, die lebensweltliche Dimension, ist unterentwickelt. Der Green New Deal erscheint zu wenig als konkrete Antwort auf die Fra­ge: Wie wollen wir leben? Der Green New Deal drückt nicht Bewe­gung aus, sondern Management. Heiße Herzen mobilisiert er nicht ebenso wie kühle Rechner. Er ist zu wenig emotionalisierbar und nicht besonders massentauglich.
Ich bin ein Fan des Green New Deal, nach wie vor. Aber wir müs­sen ihn anders anpacken, wenn wir ihn hegemonial machen wollen. Die Tatsache, dass etliche in der Öko-Familie vom Green New Deal wieder lieber weg wollen und zurück zur großen Erzählung von den Grenzen des Wachstums, ist ein Hinweis auf das entscheidende Man­ko. Wir müssen den Green New Deal fundamentaler erzählen als bis­her. Geht das? Den Versuch ist es wert.