gruene-europa.de: Wie steht die Grüne Europafraktion zu Finanzhilfen aus der EU? Welche Bedingungen sollen daran geknüpft werden?
Reinhard Bütikofer: Wir waren uns alle sehr schnell einig, dass die EU Irland nicht hängen lassen darf. Deswegen unterstützen wir es, dass Irland den Rettungsschirm in Anspruch nehmen kann. Allerdings sind bei uns die Positionen dann im Einzelnen keineswegs automatisch unisono, zum Beispiel bei der Frage, ob man die Bedingung stellen muss, dass Irland seine Körperschaftssteuer erhöht. Da hat etwa aus unserer Fraktion Sven Giegold zusammen mit einem Parlamentskollegen der CSU formuliert: Wenn die Iren ihre Körperschaftssteuersätze nicht verdoppeln, gibt’s auch nichts.
Ich bin mir nicht so klar, sicher, wir dürfen keine Steuersenkungsspirale zulassen, bei der am Ende alle Länder draufzahlen. Nur: Hilft es Irland, einen wirtschaftlichen Ausweg zu finden aus der Krise, in die es von seinem Bankensystem hineingerissen wird, wenn wir es dazu zwingen würden, von jetzt auf nachher die Körperschaftssteuer zu verdoppeln? Oder gerät das bis jetzt wettbewerbsfähige Irland dann dahin, wo Griechenland derzeit ist: ein Haufen Schulden, einmal gerettet, aber bis jetzt nicht in der Lage, aus eigener wirtschaftlicher Dynamik wieder aus dem Loch heraus zu steigen. Das sind ganz schwierige Abwägungsfragen. Wir diskutieren das.
gruene-europa.de: Die irische Bevölkerung reagierte ja ziemlich bestürzt auf die Anfrage Irlands an die EU…
Reinhard Bütikofer: Man muss auch eine politisch-psychologische Dimension sehen: Wir haben gesagt, wir wollen solidarisch sein. Das geht nicht gut zusammen mit einem herrischen Gestus gegenüber einem Land, das Jahrhunderte lang um seine Selbstbestimmung gekämpft hat und dem es bis vor kurzem zum ersten Mal in der Geschichte ökonomisch ziemlich gut ging. Wenn wir nun als Zwingherr daher kommen, droht das tiefe Wunden zu schlagen. Es müssen schon klare Vereinbarungen getroffen werden, was dieser Solidaritätsleistung gegenüber steht. Aber Vorsicht ist geboten, um nicht das Resultat zu kriegen: Ökonomisch gerade noch vom Abgrund zurückgerissen, aber politisch ist die Beziehung zerstört.
Und noch einen Umstand nimmt man in Deutschlands Politik zu wenig zur Kenntnis: Deutsche und britische Banken haben Irlands Banken, die verantwortungslos spekuliert haben, insbesondere mit Immobilien zu Mondpreisen, jeweils einen riesigen Milliardenbetrag geliehen. Viele, die jetzt auf Irland einprügeln, haben flott mitspekuliert. Nicht zuletzt die Verteidigung dieser Banken wirkt jetzt als Motiv, um Irland, das im Moment noch kein Problem zur Staatsfinanzierung hätte, zu diesem Schritt zu zwingen. Wenn man diesen Aspekt berücksichtigt, muss man noch einmal über den Rettungsschirm nachdenken, der in Deutschland so diskutiert wird, als würden wir da gütig und großzügig ganz Europa unter unsere Fittiche nehmen, während die ökonomische Rationalität dieses Rettungsschirms ganz stark darin liegt, die großen deutschen, holländischen, französischen und britischen Banken zu schützen, die sich in ihren Engagements so verkalkuliert haben, dass sie auch ins Kippen kämen, wenn diese Länder einen Bankrott anmelden müssten.
gruene-europa.de: Müssen die Grünen also eher Forderungen an den Rat stellen, wo die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens vertreten sind?
Reinhard Bütikofer: Ich habe mit Gerhard Schick, Sven Giegold und anderen in den letzten Tagen viel darüber diskutiert und tendiere dazu, George Soros Recht zu geben: Dieser Rettungsschirm müsste im Kern erkennbar als das konstruiert sein, was er letztlich ist, nämlich ein Schirm zum Schutz eines Bankensystems, das nach wie vor enorme Risiken in den Büchern hat und nicht hinreichend stark kapitalisiert ist. Es würde möglicherweise auch die Diskussion in Europa stark verändern, wenn das so ehrlich diskutiert und nicht immer überwölbt würde mit Argumenten, die so tun, als würden da Nationen miteinander ringen. Da ringt das politische System Europas, das zugelassen hatte, dass sich Banken weit über das, was sie verantworten konnten hinaus, in Risiken gestürzt hatten; darum, dass es nicht jetzt von diesen Banken in den Abgrund gerissen wird. Faktisch findet eine Art Privatisierung der öffentlichen Politik statt. Unter dem ökonomischen Zwang systemrelevanter Banken, die nicht scheitern dürfen, aber nach wie vor zu groß und zu wenig kapitalisiert sind, um alle ihre Risiken zu kontrollieren, bekommt die Politik die Imperative serviert.
gruene-europa.de: Wie beurteilst Du die Situation der Grünen in Irland, die ja an der Regierung beteiligt sind?
Reinhard Bütikofer: Die irischen Grünen sind in einer denkbar schwierigen Situation. Wer in einer solchen Situation an der Regierung ist, hat sowieso nichts zu lachen. Sie haben einen Seniorpartner in der Koalition, der sich ihnen gegenüber an vielen Stellen unfair benommen hat. Sie haben mit bewunderungswürdiger Hartnäckigkeit in einzelnen Punkten grüne Ziele durchgesetzt, zum Beispiel bei Öko-Steuern oder im Tierschutz. Aber das wird natürlich alles überspült davon, dass sie im Moment der unpopulärsten Regierung seit Irlands Unabhängigkeit angehören. Fast schon heroisch ist es, dass sie jetzt sagen: Wir stehen zu unserer Verantwortung, verabschieden einen Haushalt und dann machen wir Neuwahlen, damit die Bevölkerung entscheiden kann. Nur mit sehr großem Glück können sie bei dieser nächsten Wahl irgendjemanden ins Parlament entsenden. Aber es ist der richtige Schritt: Wenn du die Verantwortung hast, darfst Du jetzt nicht davon laufen. Aber die Alternative, an den Sesseln zu kleben, wäre aussichtslos und letztlich verächtlich gewesen.
Das Interview erschien zuerst auf www.gruene-europa.de
Foto: March 17/2010 Happy St. Patrick’s Day! von Jude Doyland, via flickr.com, lizensiert unter Creative Commons Lizenz Namensnennung 2.0 US-amerikanisch (nicht portiert)