Bewegt sie sich doch?

Am 07. Dezember, beginnt in Kopenhagen nicht irgend ein Gipfel. Es beginnt das ehrgeizigste Vorhaben der internationalen Diplomatie, das es je gab. 192 Regierungen sollen verbindliche Verabredungen zur Klimapolitik für einen Zeitraum von über 40 Jahren treffen. Sie müssen einen Weg finden, kooperativ zu vermeiden, dass der Klimawandel außer Kontrolle gerät, und dafür ihre ziemlich unterschiedlichen Interessenlagen in Übereinklang zu bringen. Sie dürfen nicht zulassen, dass die Katastrophe erst eintritt, bevor man sich ihr stellt, weil sonst die Opfer gigantisch würden. Sie müssen jetzt Verantwortung übernehmen, obwohl das nicht ohne erhebliche Anstrengungen möglich ist, weil jeder Aufschub die Einigung viel schwerer machen würde.

Eines ist zu Beginn schon klar: einen Vertrag mit völkerrechtlich verbindlichen, konkreten Verpflichtungen zur Reduzierung des Ausstosses von Klimagasen, wie ihn die Bali Roadmap in der Nachfolge des Kyoto Protokolls vor zwei Jahren vorsah, wird es nicht geben; in Kopenhagen nicht und auch nicht danach. Klar ist auch: worauf man sich in Kopenhagen im Hinblick auf zugesagte Emissionsminderungen vielleicht verständigen kann, wird, zusammen genommen, nicht genügen, um zu ermöglichen, dass der durchschnittliche Temperaturanstieg +2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau nicht überschreitet. Die Begrenzung auf maximal +2 Grad gilt aber nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als notwendiges Limit.

Ist also ein Scheitern des Klimagipfels vorprogrammiert? Nein.

Im letzten halben Jahr ist in einem Maß Bewegung in die internationale Klimapolitik gekommen, wie es nicht unbedingt zu erwarten war. Präsident Obama riskiert durchaus innenpolitisch etwas, wenn er für die USA Klimaziele verspricht, für die er im Senat noch keineswegs eine Mehrheit hat, und wenn er in der heißen Phase der Verhandlungen nach Kopenhagen kommt. Dass auch Ministerpräsident Singh aus Indien kommt und Präsident Hu aus China, dass diese beiden Giganten des 21. Jahrhunderts zum ersten Mal eigene Klimaziele bekannt geben, dass Brasiliens Präsident Lula sich auch zum 2-Grad-Ziel bekennt, das zeigt das ganze Ausmaß der Dynamik. Das ist gut so. Es heißt, dass niemand vor dem Problem der globalen Erwärmung wegtauchen kann. Ja, die Mächte pokern, wollen, wenn möglich, anderen einen größeren Teil der Verantwortung überlassen. Aber zugleich können sie nicht mehr ausblenden, wie sehr sie selbst vom unbegrenzten Klimawandel zu fürchten haben. Immer deutlicher wird: wer die Zukunft, schon die nahe Zukunft des eigenen Landes nicht aufs Spiel setzen will, muss an der globalen klimapolitischen Anstrengung mitwirken.

Beim Klimawandel geht es entscheidungstheoretisch um ein Problem, das als Allmende-Klemme bekannt ist. Wenn, im europäischen Mittelalter, alle von der gemeinsamen Weide, Allmende genannt, maßvoll Gebrauch machten, reichte sie gut für alle aus. Zum Vorteil aller. Wenn Einzelne sich mehr zurückhielten als andere, liessen sie zu, dass jene in Vorteil gerieten. Wenn Einzelne die Nutzungskonkurrenz verschärften, konnten sie vielleicht für sich zunächst einen Vorteil herausschlagen, setzten aber einen Wettlauf in Gang, der insgesamt durch Übernutzung zerstörerisch war. Wenn es, wie bei der internationalen Klimapolitik, keine übergeordnete Autorität gibt, die einen maßvollen Gebrauch vorschreibt und durchsetzt, dann kann nur die Einsicht aller Beteiligten in die aus der Übernutzung drohende Gefahr zu angemessenem Handeln bewegen. Die Allmende Atmosphäre ist begrenzt. Wir wissen, wieviel zu viel ist. Noch etwa 850 Gigatonnen CO2 kann die Menschheit in diesem Jahrhundert emittieren, bevor die Grenze zum Kippen des gesamten Systems überschritten würde.

Die Industrieländer haben sich bisher beim Klima verhalten wie der rücksichtslose mittelalterliche Bauer, der durch Überweidung die gemeinsame Existenzgrundlage in Frage stellt. Sie müssen ihre Politik und Wirtschaft daher vor allem ändern. Sie müssen bei der Reduktion voran gehen. Europa muss in Kopenhagen eine Verminderung der CO2-Emissionen bis 2020 von mindestens 30% gegenüber 1990 zusagen! Die Industrieländer müssen aber auch durch Technologietransfer, finanzielle Hilfe bei der Anpassung an den Klimawandel und durch eine Finanzierungsstategie zum Erhalt der Regenwälder – der grünen Lunge der Erde – den Entwicklungsländern helfen, ihre Entwicklung fortzusetzen, auf einem nachhaltigeren Pfad als bisher, UND ihren Beitrag leisten zu können zur Klimapolitik.

Wann ist Kopenhagen nicht gescheitert? Ich würde drei Maßstäbe anlegen.

Das 2-Grad-Ziel muss politisch verpflichtend gemacht werden, selbst wenn die aktuell angepeilen Maßnahmen dem noch nicht entsprechen. Es muss sozusagen der Eckpunkt sein, auf den sich alle in der Diskussion über die Angemessenheit ihrer Beiträge für die Zukunft verpflichten lassen. Ist dieser Punkt erreichbar? Ja. Beim G20-Gipfel in Italien war das 2-Grad-Ziel schon einmal vereinbart.

Die Industriestaaten müssen ein angemessenes Finanzpaket für Soforthilfe und für dauerhafte Hilfe ab 2020 auf den Tisch legen. 100 Milliarden sind nach Kalkulationen der EU ab 2020 jährlich für die Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Mit einem funktionierenden Emissionshandel, bei dem die Zertifikate nicht verschenkt werden, ist das sicher leichter als ohne. Die Entscheidung der Bundesregierung, ihre Klimaschutz-Finanzhilfen auf die zuvor schon zugesagte Entwicklungshilfe anzurechnen, ist dagegen ein Hohn und für die Entwicklungsländer ein Schlag ins Gesicht. An diesem Punkt sehe ich für Kopenhagen die größte Hürde.

Durch geeignete Regulierung, vor allem indem CO2 einen Preis bekommt, muss die Wirtschaft Rahmenbedingungen erhalten, die den Wettbewerb um Energieeffizienz, um Rohstoffeffizienz zu ihrem neuen Grundgesetz macht. Klimaschädlich zu wirtschaften, darf sich an den Märkten nicht mehr auszahlen. Dazu ist vor allem zweierlei nötig. Die Industriestaaten müssen den Umbau zu einer CO2-armen Energieeffizienzwirtschaft durch verbindliche Klimaziele, etwa die 40% Minderung für Deutschland bis 2020, forcieren. Hier liegt eine besondere Chance und Verantwortung der EU, weil sie auf so zahlreichen dafür wichtigen Gebieten die Technologieführerschaft hat. Zudem muss Technologie-Transfer endlich auf beiter Front in Gang kommen. Kommt eine grüne ökonomische Dynamik zustande, dann ist in vielen Ländern viel mehr Klimaschutz nicht nur möglich, sondern auch als wirtschaftliche und als Job-Chance durchsetzbar, als das derzeit der Fall ist. Der Wettbewerb um die beste low-carbon-economy, wenn er Fahrt aufnimmt, kann die nötige ökologische Revolution mächtig voran bringen.

Wird Kopenhagen nach diesen Maßstäben ein Erfolg? Vor einem halben Jahr hätte ich gesagt: wohl kaum. Heute sage ich: the jury is still out.


Bildnachweis: Man on the Ladder von svenwerk – Lizenz: CC-BY-NC-ND