Main Post: Hast du einen Opa, dann schick ihn nach Europa. Handeln jetzt auch die Grünen nach dem Motto?
Reinhard Bütikofer: Wie kommen Sie drauf? Auf unserer Europaliste bin ich mit 56 Jahren fast der Älteste. Gleichzeitig haben wir auf aussichtsreichen vorderen Listenplätzen drei junge Leute unter 30. Der Altersschnitt unserer Liste ist wahrscheinlich besser als der jeder Bundestagsfraktion.
Main-Post: Wollen Sie nach Straßburg wegen der Diäten oder des guten Essens?
Bütikofer: Absolut wegen dem Essen, und nach Brüssel wegen Pralinen und Bier.
Main-Post: Mal im Ernst – was wollen Sie in Straßburg und Brüssel bewegen?
Bütikofer: Mich reizt, daran mitzuwirken, dass das Europaparlament als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger Europas stärker wahrgenommen wird.
Main-Post: Wie soll das gehen?
Bütikofer: In Europa sollen nicht nur die Stimmen starker, vor allem nationaler Bürokratien und mächtiger Lobbys gehört werden. Viele Bürger klagen, sie würden Europa als weit entfernt wahrnehmen. Die Europawahl gibt die Möglichkeit, sich einzumischen: Wählt diejenigen, die in Europa für das stehen, was euch wichtig ist!
Main-Post: Das Einmischen müsste aber ein langfristiger Prozess sein.
Bütikofer: Richtig, deshalb treten wir Grünen auch dafür ein, dass in Europa die direkte Demokratie gestärkt wird, so dass die Bürger unmittelbar zu Wort kommen.
Main-Post: Spannend. Ein Beispiel, bitte.
Bütikofer: Die Mindestlohnregelung. Die muss es in jedem Land der EU geben, damit Deutschland nicht eine Extrarolle spielen kann und die anderen Regelungen durch Lohndumping unterläuft. Gibt es im EU-Parlament keine Mehrheit für den Zwang zum Mindestlohn, dann wollen wir uns für ein Bürgerbegehren einsetzen.
Main-Post: „Wums!“ Wie kommt denn der Slogan des grünen Wahlkampfs an? Man ist geneigt zu lästern: Die Welt wankt, und bei den Grünen macht es „Wums“.
Bütikofer: Klar, diese Comic-Sprache ist ungewöhnlich. Aber wenn man will, dass die Leute aufmerken, muss man auffallen. Jeder spricht uns auf das „Wums“ an, und dann erklären wir: Diese Buchstaben stehen für: Wirtschaft & Umwelt, menschlich & sozial.
Main-Post: Was ist die Kernbotschaft?
Bütikofer: Die lautet: Wenn wir der Wirtschaft auf die Füße helfen wollen, müssen wir es so tun, dass es auch dem Klima hilft. Wir müssen beide Krisen zusammen bekämpfen. Und wir wollen dabei die zentralen Werte unserer Gesellschaft – menschlich und sozial – realisieren. Die Vertreter der Ellenbogengesellschaft, die Marktradikalen, haben uns doch in die Krise gestürzt.
Main-Post: Mir scheint, im Augenblick zählen nur Arbeitsplätze und noch mal Arbeitsplätze.
Bütikofer: Niemand kann gegenwärtig besser als wir Grüne darlegen, wie zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen sind. Unsere Partei hat eben ein Konzept vorgelegt, wie wir in den kommenden Jahren eine Million Arbeitsplätze zusätzlich schaffen. Im Zentrum steht neben der Bildung die ökologische Erneuerung. Nehmen wir nur die Automobilbranche mit ihren Überkapazitäten. Entweder wir steuern dort um und setzen auf Energieeffizienz und haben dann auch in Zukunft den europäischen Automobilbau und die Arbeitsplätze. Oder wir fahren an die Wand wie die Amerikaner. Das Gleiche gilt im Maschinenbau und in der Chemieindustrie. Auch die energetische Altbausanierung schafft viele Arbeitsplätze im Handwerk, das stärkt den Mittelstand. Das Geld, was jetzt für die Abwrackprämie ausgegeben wird, hätten wir in die energetische Altbausanierung stecken und 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen müssen. Wer heute an Arbeitsplätzen interessiert ist, der muss sich mit uns zusammentun, damit wir die ökologische Erneuerung der Wirtschaft schaffen.
Main-Post: Das ist das New-Deal-Konzept der Grünen?
Bütikofer: Genau, dazu gehören neben dem Impuls für die Wirtschaft zwei weitere Dimensionen. Wir müssen den Finanzmarkt regulieren und aktiv gegen die zunehmende soziale Spaltung vorgehen. Durch den Mindestlohn etwa.
Main-Post: Den flächendeckenden oder den branchenspezifischen?
Bütikofer: Der Mindestlohn ist kein Wunschkonzert. Wir brauchen ihn nicht nur als Ausnahme. Wenn er nicht in den einzelnen Branchen kommt, muss der Gesetzgeber handeln. Außerdem sind wir für die Aufstockung der Leistungen für Bezieher von Arbeitslosengeld II auf 420 Euro.
Main-Post: Das klingt nach nicht viel.
Bütikofer: Das entspricht der Forderung der Sozialverbände.
Main-Post: Bei der Europawahl 2004 haben die Grünen 11,9 Prozent geholt. Sie wollen in diesem Jahr noch besser abschneiden. Woher der Optimismus?
Bütikofer: Die CDU war mal, lang ist’s her, die Europapartei. Heute sind wir das. Frau Merkel hat Kohls europäisches Herz nicht. Auch bei der SPD schlägt immer wieder der ökonomische Nationalismus durch. Die CSU bewegt sich unter Seehofer inzwischen auf Stammtischniveau und glaubt, mit antieuropäischen Parolen könne sie ihre Haut retten. Die Linke macht Nationalismus aus der anderen Ecke. Wir bieten den Wählern dazu eine klare Alternative.