tagesschau.de: Sie nutzen sehr intensiv Twitter, sind oft bei Facebook unterwegs. Warum?
Reinhard Bütikofer: Beim Ausprobieren habe ich entdeckt, dass diese Kommunikationswege neue Zugänge eröffnen. So habe ich bei Twitter beispielsweise die israelische Zeitung Haaretz abonniert. Ich käme nicht dazu, Haaretz im Netz nachzuschlagen. Aber so bekomme ich einen leichten Zugang zu Diskussionen, die in dieser Zeitung abgebildet werden – und kann mir Artikel herauspicken. Das gilt auch für andere Quellen.
Zudem gibt es die Möglichkeit, direkt selber Leute zu erreichen. Mit kurzen Stellungnahmen, Hinweisen auf Diskussionen, die ich wichtig finde. Das passiert ungefiltert. Ich muss nichts aufwändig über einen Rundbrief verschicken. Ich muss nicht hoffen, dass es irgendein Medium so transportiert, wie ich es will.
tagesschau.de: Es geht also um die interne Mobilisierung, weniger um eine Breitenwirkung.
Bütikofer: Die Zahlen sind ja gering: Ich habe 900 Freunde bei Facebook und 700 “Followers” bei Twitter, die meine kurzen Nachrichten lesen. Damit kann man keinen Masseneffekt erreichen. Die Vorstellung, dass man direkt an die Wähler herankommt, das war noch nie so, auch nicht in den USA.
tagesschau.de: Aber Sie erreichen dennoch interessante Personen, oder?
Bütikofer: Damit kommt man an potenzielle Multiplikatoren heran. Das kann man sicherlich noch ausbauen. Es entwickelt sich jetzt erst das, was es in den USA schon lange gibt. Nach meiner Beobachtung war es auch in den USA so, dass diese sozialen Netzwerke ein Instrument waren, um Unterstützer und Aktivisten zu motivieren. Diese sollten sich dann nicht im Netz, sondern in der wirklichen Wirklichkeit auf den Weg machen und ihre Nachbarn ansprechen.
tagesschau.de: Erfolge im Netz gibt es also nur, wenn es Verknüpfungen zur realen Welt gibt?
Bütikofer: Absolut. Das Netz ist keine politische Existenz für sich selbst.
tagesschau.de: Die Mitglieder und die Wählerschaft der Grünen sind eher jung und gut gebildet – und netzaffin. Was ist für Ihre Partei da noch möglich?
Bütikofer: Die Nutzung solcher Netzwerke kann noch deutlich intensiviert werden. Wir bauen gerade ein eigenes auf. Es besteht allerdings auch eine große Gefahr: Wenn man meint, man ist im Netz gut unterwegs und habe daher schon wirklich etwas erreicht. Das wäre ein Irrtum.
tagesschau.de: Kritiker werfen den Grünen vor, sie wollten durch Preisausschreiben Blogger kaufen, indem die Partei dem Gewinner die Anreise sowie Übernachtung beim Parteitag bezahlt. Wie bewerten Sie diese Kritik?
Bütikofer: Die Leute zeigen damit, dass sie dieses neue Medium nicht wirklich verstehen. Ich kann mir keinen Blogger vorstellen, der für eine Fahrkarte zum Parteitag und ein Hotelzimmer zu haben wäre. Die Leute, die für uns als Blogger interessant sind haben einen Namen, den sie zu verlieren haben. Die sollen uns nicht gefallen, sondern es geht darum, sich selbst einen Spiegel hinzustellen und dadurch zu verstehen, welche unserer Themen gut ankommen und was verständlich ist – und was nicht. Es geht um Erkenntnisgewinn und unverfälschte Stimmen. Ein Blog, der mir attestieren würde: Klasse Rede, super Parteitag, alles paletti – das wäre ja vollkommen uninteressant. Das würde auch keiner lesen.
tagesschau.de: Sie kommunizieren bei Twitter und Facebook nicht nur mit Unterstützern, sondern auch mit politischen Gegnern und Journalisten. Was bringt das konkret?
Bütikofer: Was ich bei Twitter schreibe, das verfolgen nicht nur Grüne, sondern auch andere aktive Twitterer – auch von der SPD oder der FDP. Beispielsweise zum 65. Geburtstag von Gerhard Schröder habe ich einiges geschrieben. Da kommen dann auch Kommentare zurück. Es erlaubt bis zu einem gewissen Grad auch Gegnerbeobachtung, aber in der Hauptsache ist es die interne Mobilisierung.
tagesschau.de: Ersetzt es damit die legendären Stammtische von Lobbyisten, Journalisten und Politikern?
Bütikofer: Ich finde das Bild zutreffend. Es ist die Wiederkehr des Stammtisches auf digitalem Niveau. Dementsprechend ohne die Begrenzung des Stammtisches nach Ort und Zeit, aber mit den inhaltlichen Begrenzungen, die der Stammtisch hat.
tagesschau.de: Offenbar geht es bisweilen auch etwas lockerer zu: Sie haben vor wenigen Tagen getwittert, dass Sie bei einer Art Selbsttest im Netz herausgefunden haben, dass Sie in einem früheren Leben Ghandi waren. Das habe Ihnen zu denken gegeben. Sind Sie zu einem Resultat gekommen?
Bütikofer: (lacht) Das ist ein Spaß. Ich habe sogar mehrere solcher Tests gemacht. Als internationaler Politiker wäre ich Ghandi, als deutscher Politiker Claudia Roth. Und bei Winnie-Pooh wäre ich der Esel Ia.
Das Interview erschien ursprünglich auf tagesschau.de – geführt wurde es von Patrick Gensing.
Bildnachweis: Jump on the social media bandwagon von Matt Hamm – Lizenz: CC-BY-NC