Reinhard Bütikofer im Interview mit dem Weser Kurier.
Mit ihrem New Deal-Konzept ziehen die Grünen in den Europa-Wahlkampf. Spitzenkandidat Reinhard Bütikofer ist überzeugt davon, dass die Grünen mit diesem neuen Programm gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise punkten werden. Mit dem früheren Parteichef sprach unser Redakteur Norbert Holst.
Weser Kurier: Herr Bütikofer, fangen wir mit einem aktuellen Ereignis an. Droht der EU nach dem Sturz des tschechischen Ministerpräsidenten und EU-Ratspräsidenten Topolanek eine Lähmung?
Reinhard Bütikofer: Das innenpolitische Wirrwarr in Tschechien wird meines Erachtens die europäischen Prozesse nicht aus dem Gleis bringen. Ich unterstelle, dass die dortige Regierung die Funktionsfähigkeit der Präsidentschaft gewährleistet. Wäre der Lissabon-Vertrag schon gültig, könnte sowas allerdings nicht passieren. Aber wird nicht der Lissabon-Vertrag durch die Geschehnisse in Prag Schaden nehmen? Heute sind die Chancen besser, dass der Vertrag in absehbarer Zeit ratifiziert wird, als sie es vor einem Jahr waren. Die Stimmung in Irland hat sich zugunsten des europäischen Projektes geändert. Und zwar insbesondere vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, weil die Notwendigkeit des europäischen Zusammenrückens so offenkundig geworden ist.
Weser Kurier: Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der EU?
Reinhard Bütikofer: Ein Zeugnis mit guten Noten kann man weder dem europäischen Rat, noch der europäischen Kommission ausstellen. Die Kommission ist sogar in besonderer Weise zu kritisieren, weil ihr Präsident, Herr Barroso, seine Verantwortung offenkundig schleifen lässt. Der Mann ist lau, weil er zu sehr mit seinem eigenen Wahlkampf beschäftigt ist, um noch einmal für fünf Jahre Kommissionspräsident zu werden. Für die Konjunktur tut Europa zu wenig. Und setzt falsche Prioritäten. Nehmen Sie das verabschiedete Konjunkturpaketchen in Höhe von fünf Milliarden: Das sieht Mittel für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz vor, aber doppelt soviel Geld wird in den Klimakiller Kohle gesteckt.
Weser Kurier: Welche Rolle spielt Deutschland bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise auf europäischer Ebene?
Reinhard Bütikofer: Ich sehe die deutsche Haltung im europäischer Rat sehr kritisch. Wäre es nach Deutschland gegangen, wäre noch nicht einmal der Nothilfefonds für besonders stark unter Druck stehende EU-Länder erhöht worden. Frau Merkel und Herr Steinbrück treten bei jeder europäischen Diskussion erstmal auf die Bremse. Wir brauchen aber viel mehr europäische Zusammenarbeit im Wirtschaftssektor. Das hat die Bundesregierung nicht begriffen.
Weser Kurier: Die Antwort Ihrer Partei auf die Krise ist der Grüne New Deal…
Reinhard Bütikofer: …richtig. Unsere Grundüberlegung heißt, die Antwort auf die Krise muss
verbunden sein mit der Antwort auf die Klimakrise. Weil die Klimakrise nicht wartet, bis die Finanzkrise vorbei ist. Wir knüpfen an die Erfahrung der amerikanischen Politik in der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren an. Es gibt drei Kernbereiche. Erstens: Man muss die Finanzbranche neu regulieren, denn die ist außer Rand und Band geraten. Das muss mindestens auf europäischer Ebene passieren, besser noch auf der globalen. Zweitens: Man muss der Wirtschaft neue Impulse geben. Und zwar durch energieeffiziente Innovationen und ökologische Investitionen. In Europa wäre der Ausbau des Stromnetzes zum Beispiel solch ein Ansatz. Drittens: Man muss etwas gegen die sich ausbreitende Armut unternehmen. Das bedeutet ebenso Investitionen in die Bildung wie eine Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 420 Euro und Mindestlohn-Regelungen. Das ist für Deutschland auch wichtig, um die Binnennachfrage anzukurbeln.
Weser Kurier:Manche Wähler sagen, die Grünen sind eine prima Partei für sonnige Zeiten,
aber nicht für Krisenzeiten. Diese Einschätzung werden sie vermutlich nicht teilen…
Reinhard Bütikofer: … lacht … messen wir das doch mal an den Umfragen. Bei der Bundestagswahl hatten wir acht Prozent. Die schlechteste Umfrage im vergangenen halben Jahr sah uns bei neun …
Weser Kurier: … aber im Vergleich zur FDP profitieren die Grünen nicht von der Wählererosion bei SPD und CDU.
Reinhard Bütikofer: Wenn die Leute näher hinschauen, was Guido Westerwelle macht, dann wird sich das bis zum Wahltag schon noch ändern. Der stellte sich nach der bemerkenswerten Berliner Rede des Bundespräsidenten doch tatsächlich hin und tat so, als hätte er das alles nicht gehört. Dabei hat der Bundespräsident doch eine extrem scharfe Kritik am marktradikalen Dogmatismus geäußert, wie ihn die FDP vertritt. Ich glaube, wir haben gute Chancen. In Europa sowieso, aber auch für die Bundestagswahl. Der Grund: Unser Konzept spielt die unterschiedlichen Herausforderungen nicht gegeneinander aus. Mit einem ähnlichen Ansatz hat Barack Obama in den Vereinigten Staaten die Wahl angetreten. Obama betonte die Aussage, dass die USA mehrere schwere Krisen erleben, von der sich keine aufschieben lässt. Das vergleichen Sie mal mit dem, was die Große Koalition in Berlin macht. Da hat man auf die selbstverschuldete Krise in der Autobranche mit der Abwrackprämie reagiert, die überhaupt keine ökologische Lenkungswirkung entfaltet und die wird jetzt zu allem Überfluss auch noch verlängert.
Weser Kurier: Sie halten gar nichts davon?
Reinhard Bütikofer: Ich halte sie für abstrus. Wenn die Prämie wenigstens ein Instrument wäre, um zu sagen: Leute, wir wollen helfen dass Ihr auf ökoeffizientere Autos umsteigt. Dann wäre das eine andere Diskussion. Stattdessen geben wir einen Haufen Geld aus, dadurch werden aber nur Kaufentscheidungen vorgezogen. Das ändert gar nichts an der Strukturkrise der Automobilbranche. Die Abwrackprämie ist eine teure Scheinantwort.
Weser Kurier: Sie haben einen Vorteil: Als Europa-Spitzenkandidat müssen Sie sich keine Gedanken über Ampel-Koalitionen machen. In dieser Frage wirken die Grünen reichlich zerstritten. Wie kommt die Debatte bei Ihnen an?
Reinhard Bütikofer: Na ja. Ich werde nicht behaupten, dass das ein Glanzstück war. Aber ich denke nicht daran, nun damit weiterzumachen. Richtig ist, wie die Parteiführung gesagt hat: Wir sollten jetzt nach vorne blicken und uns auf die inhaltliche Auseinandersetzung konzentrieren.
Weser Kurier: Bräuchten die Grünen an der Spitze nicht langsam mal ein paar jüngere Gesichter?
Reinhard Bütikofer: Entschuldigung, die Verjüngung findet doch schon statt. Für mich kam Cem Özdemir, der ist fast 15 Jahre jünger. Wir haben etliche junge Leute ganz vorne, schauen Sie sich die Garde der Landesvorsitzenden an oder den Parteirat. Insgesamt haben wir eine gute, erfahrene Mischung. Die führen das jetzt in den Bundestagswahlkampf. Da stehen keine Personaldebatten an und wir können auch keine gebrauchen. Ich habe meinen Beitrag zur Verjüngung geleistet, aber ich werde natürlich weiter aktiv mitspielen.
Weser Kurier: Sie waren sechs Jahre lang Parteichef der Grünen. Das hat vor Ihnen noch niemand geschafft. Vermissen Sie das Amt manchmal?
Reinhard Bütikofer: Jetzt den Schritt nach Europa zu machen, war genau richtig. Für mich ist die europäische Ebene eine alte Liebe. Und in der aktuellen Situation kann man doch nur sagen: Wenn einer nach Europa geht und ein gewisses politisches Gewicht mitbringt, dann kann das nicht schaden.