DIE WELT: In Hamburg muss die GAL das Kohlekraftwerk Moorburg hinnehmen, obwohl sie es ablehnt, und in der grünen Bundespartei gibt es immer wieder Kohle-Kontroversen. Was läuft da falsch?
Reinhard Bütikofer: Bei Grünen läuft manchmal was falsch, wenn es keine Kontroversen gibt. Bei der Frage des Umgangs mit Kohle gab es die, und wir haben uns auf eine klare Position verständigt: Wir fordern ein Moratorium für den Neubau von Kohlekraftwerken, solange die CCS-Technik zur Abscheidung von Kohlendioxid nicht verfügbar ist. Natürlich wird Kohle auch 2020 noch eine Rolle im Energiemix spielen, aber der Zubau von Kohlekapazität gefährdet die Klimaziele. Anja Hajduk hat in Hamburg alle Möglichkeiten genutzt, die sie nach Recht und Gesetz hat, sie hat Moorburg unter strenge Auflagen gestellt. Trotzdem bleibt das ein bitterer Rückschlag. Es ist inakzeptabel, dass das Genehmigungsrecht bisher nicht den Klimaschutzaspekt berücksichtigt. Das ist nicht zeitgemäß, wir wollen das ändern: Für neue Kraftwerke wollen wir einen elektrischen Mindestwirkungsgrad von 58 Prozent gesetzlich festlegen.
DIE WELT: Die GAL muss sich der CDU beugen, die Moorburg erlaubte. Was heißt das für die Hamburger Koalition und Schwarz-Grün im Bund?
Bütikofer: Beugen muss sich die GAL dem Oberverwaltungsgericht Hamburg. Die weitere Perspektive der Koalition dort werden die Mitglieder am 9. Oktober entscheiden. Ich würde mich freuen, wenn sie sich für die Fortsetzung aussprächen. Der schwarz-grüne Umgang in Hamburg ist konstruktiv. Das ist auf Bundesebene ganz anders.
DIE WELT: Betrachtet man die CSU, so wirkt die Union kaum wie ein verlockender Koalitionspartner.
Bütikofer: In der Tat. Jetzt ersetzt die CSU einen kleinen Populisten durch einen großen. Dabei hat sie doch nicht nur ein Personalproblem. In den letzten Jahren ist ja vor allem über die Erschütterungen auf der
sozialdemokratischen Seite geredet worden. Aber die in der
christdemokratischen Hälfte sind nicht weniger tief. Daraus folgt auch
etwas für uns Grüne: Nicht nur auf der sozialdemokratischen Seite können
wir für neue Orientierung werben, sondern auch auf der bürgerlichen
Seite zumindest einem Teil der Wähler eine Alternative anbieten. Ob uns
das gelingt, wird mitentscheidend sein für unsere Chancen im kommenden Jahr.
DIE WELT: Was nutzt den Grünen in Bayern ihr gutes Ergebnis, wenn sie doch wieder nicht regieren zu können?
Bütikofer: Unser Ergebnis ist ein großer Schritt nach vorn! Wir haben zum Beispiel bei Selbstständigen fast so viele Stimmen wie die FDP geholt und einen kleinen Einbruch ins bürgerliche Lager geschafft. Das liegt zum großen
Teil an unserem Spitzenkandidaten Sepp Daxenberger, aber er konnte auch
deshalb überzeugen, weil der ganze Landesverband attraktive Politikangebote machte. Jetzt wollen wir Druck machen, dass mehr geht.
DIE WELT: Glauben Sie denn, dass die FDP ein Viererbündnis mit Grünen, SPD und Freien Wählern eingeht?
Bütikofer: Es wäre aus Sicht der FDP nicht dumm, sich erst einmal in alle Richtungen umzuhören. Zumal Gespräche mit der CSU für die FDP derzeit kaum möglich sind, weil niemand weiß, wer oder was die CSU ist. Die CSU weiß es ja selbst nicht. Ich frage mich ernsthaft, ob die CSU
regierungsfähig ist.
DIE WELT: Was aber spräche inhaltlich für jenes Viererbündnis?
Bütikofer: Eine große Rolle bei dieser Wahl hat die Bildungspolitik gespielt, die von der CSU verhunzt wurde. Da könnte eine alternative Konstellation einen echten Neuanfang zustande bringen. Bewegt hat die Leute auch die Wirtschaftspolitik, wo sich der Kompetenzverlust der CSU nicht nur an ihrem Missmanagement bei der BayernLB gezeigt hat. Die CSU hat es nicht geschafft, die Agenda einer ökologischen Innovation zu formulieren, und
das könnte in einer alternativen Konstellation gelingen.
DIE WELT: Wenn die FDP sich gegen das Viererbündnis sperrt – ist das nicht ein unfreundliches Signal an die grüne Ampel-Vorliebe im Bund?
Bütikofer: Ob die FDP etwas davon hat, wenn sie sich zur
Filzverlängerungshilfspartei bei der CSU machen lässt, muss sie wissen.
Ich glaube, es wäre gescheit, eine neue Seite aufzuschlagen. Dass in
jener Viererkoalition nicht eine große Partei alles dominiert, kann ja
eine Chance sein. Die CSU hat am Sonntag erklärt, sie habe einen
Regierungsauftrag und benötige ein Beiboot. Das verspricht nicht viel
Aufbruch, schon gar nicht für die FDP.
Das Gespräch führte Matthias Kamann.
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