FORUM | Die zunehmende Spekulation auf den Rohstoffmärkten verzerrt die Preise und führt zu einer höheren Belastung für die Verbraucher.Die Europäische Union versucht, den Spekulanten das Handwerk zu erschweren. Doch die bisher geplanten Schritte reichen nicht aus. Von Reinhard Bütikofer und Gerhard Schick.
erschienen in der Wirtschaftswoche, Heft vom 18. Juni 2012, hier.
Die Rohstoffpreise fahren Achterbahn. Lebensmittel oder Metalle brechen auf den Grundstoffmärkten Rekorde, um kurz danach wieder beträchtlich zu fallen. Dies geht weit über die zyklischen konjunkturellen Schwankungen hinaus, da eine ganze Reihe von neuen Akteuren die Rohstoffmärkte aufmischt. Von Privatanlegern über Banken bis zu Hedgefonds und Versicherungen: Viele Investorengruppen haben Rohstoffe in Zeiten krisenbedingter Verunsicherung, gestiegener Inflationserwartung und niedriger Zinsen als neue Anlageform für sich entdeckt. Rohstoffmärkte und Finanzmärkte haben sich somit zunehmend verflochten; es wird immer mehr virtuell mit Rohstoffen gehandelt.
Viel spricht dafür, dass der Zufluss dieser neuen Milliarden sowohl Preise als auch ihre Schwankungen nach oben treibt – und zwar losgelöst von den eigentlichen fundamentalen Angebots- und Nachfragedaten. Der Weizenmarkt ist ein prägnantes Beispiel. Obwohl im Jahr 2008 die Weizenvorräte deutlich über denen der Neunzigerjahre lagen und auch der Verbrauch geringer war als die Produktion, erreichte der Weizenpreis ein Rekordhoch. An anderen Rohstoffmärkten sieht es ähnlich aus.
Der Industrie, dem Mittelstand und den Verbrauchern kann bei der Fahrt auf der Rohstoffachterbahn schnell übel werden. Eine Studie im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion kam zu dem Ergebnis, dass allein für spekulationsgetriebene höhere Ölpreise die Deutschen jährlich mit rund fünf Milliarden Euro mehr beim Tanken belastet werden.
Gegen solche Fehlentwicklungen auf den Rohstoffmärkten gibt es eine populäre Forderung: Die Politik sollte eingreifen, um dafür zu sorgen, dass auf fundamentale Güter wie Lebensmittel nicht spekuliert wird. Neue Regeln für die Rohstoffmärkte sollten sich vor allem am Ziel ausrichten, dass die Preise wieder Abbild der Fundamentaldaten werden. Wie ist das zu erreichen?
Die USA übernahmen in einem wichtigen Bereich die Rolle des Eisbrechers. Nach kontroverser Debatte hat die zuständige US-Behörde, die Commodity Futures Trading Commission (CFTC), beschlossen, Positionsobergrenzen auf den Handel mit Öl, Metallen und Getreide zu setzen. Das Grundprinzip: Ein Händler soll nur noch eine begrenzte Zahl von Kontrakten eingehen können. So soll die Spekulation eingedämmt werden.
In der EU-Kommission wogte die Diskussion über ähnliche Schritte hin und her. Trotz großer Vorbehalte Großbritanniens hat sich Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier nicht abschrecken lassen und schlägt zeitweilige Obergrenzen durch die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) vor, wenn die Mitgliedstaaten selber nicht genügend eingreifen. Im Vergleich mit den USA ist dies ein zaghafter Schritt, aber doch in die richtige Richtung.
Aber damit solche Begrenzungen der Spekulation greifen, müssen weitere Weichen gestellt werden. Denn bisher sind die Terminmärkte äußerst intransparent. Für den Handel zwischen den Banken und jenseits der regulierten Börsen sind kaum Daten öffentlich verfügbar. Dieser macht aber etwa 95 Prozent des gesamten Derivatehandels mit einem Volumen von rund 500 Billionen Euro aus. Wir kennen dabei weder Preise und Mengen noch Handelsteilnehmer oder die den Termingeschäften zugrunde liegenden Vermögensgegenstände. Nicht umsonst heißen Teile solcher anonymen Märkte “dark pools”.
Ein zweiter wichtiger Schritt hin zu mehr Preiswahrheit besteht also darin, den intransparenten Handel außerhalb der Börsen möglichst umfassend auf regulierte transparente Handelsplätze zu übertragen und – wo dies nicht möglich ist – zumindest lückenlose Berichtspflichten einzuführen.
Die jüngsten Regulierungsreformen der EU gehen in die richtige Richtung. Künftig sollen Berichtspflichten für Teile des Termingeschäfts der Banken eingeführt werden. Aber der Teufel steckt im Detail. Es soll künftig Ausnahmen von diesen neuen Pflichten geben, die von den europäischen Aufsichtsbehörden noch festzulegen sind. Je umfassender diese Ausnahmen sein werden, desto schwieriger und komplexer wird es auch, effektive Interventionen im Fall von Blasenbildungen oder Überhitzungen durchzusetzen.
Vor diesem Hintergrund sollten die Ausnahmen möglichst eng gefasst werden. Denkbar wäre ja, dass Derivate künftig bewusst so konstruiert werden, dass sie unter die Ausnahmen fallen. Denkbar wäre ferner, dass Finanzinstitute sich echte Rohstofflager zulegen.
Preise dürfen nicht länger durch Schattenmärkte verzerrt werden. Chuck Prince, ehemaliger Chef der US-Bank Citigroup, sagte einmal: “Solange die Musik spielt, muss man tanzen.” Die EU-Kommission sollte sich als Diskjockey bewähren, der dafür sorgt, dass neue Musik erklingt.
Reinhard Bütikofer ist stellvertretender Vorsitzender und industriepolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament.
Gerhard Schick ist finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag
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