#101 Bütis Woche: Europa und die USA: Von der Neuvermessung der transatlantischen Beziehungen

In einer Diskussion, an der ich dieser Woche teilnahm, äußerte ein überaus selbstgewisser europäischer Diplomat, US-Präsident Trumps Außenpolitik sei als Sonderfall der US-Geschichte zu werten, als Ausreißer. Man werde Trump schlimmstenfalls noch sechseinhalb Jahre ertragen müssen. Dann werde sich alles wieder normalisieren. Ich sage: komplett daneben.

Präsident Trump ist ganz gewiss ein besonderer amerikanischer Präsident. Keiner, den wir im Gedächtnis haben, ist je so offen frauenfeindlich, rassistisch, verlogen und über jegliche Grenze hinaus selbstverliebt aufgetreten. Er hat die Gosse ins Weiße Haus geholt. Als Präsident der ältesten Demokratie der Welt hat er mehr Gemeinsamkeit mit Selbstherrschern, wie Xi Jinping oder Wladimir Putin, als mit seiner eigenen demokratischen Opposition, und mehr Respekt als für diese hat er für Putin und Xi alle mal. In der Außenpolitik tritt Trump sprunghaft auf und rüpelhaft; er scheut sich nicht, internationale Partner mit einer brutalen Herablassung zu behandeln, wie man das aus Filmen von Mafiabossen gegenüber ihren Vasallen kennt. Doch die Grundlinien der trumpschen Außenpolitik, die sich abzeichnen, sind keine trumpsche Erfindung und weisen weit über ihn hinaus. Die Vorstellung, irgendwann würde die Außenpolitik der USA zurückkehren zu dem, woran wir Europäer uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt hatten, ist eine gefährliche Illusion.

Politische Wissenschaftler werden in ihrer Analyse beim Aufspüren der Wurzeln der trumpschen Außenpolitik wahrscheinlich weiter zurückgehen, als ich das hier tun will. Ich will mich hier damit begnügen, darauf zu verweisen, dass man die Anfänge der trumpschen globalen Außenpolitik schon bei seinem Vorgänger findet, bei Barack Obama.

Barack Obama war es, der ins Amt kam, weil er erfolgreich den Wunsch einer großen Mehrheit amerikanischer Öffentlichkeit mobilisierte, die globale Verantwortung der USA loszuwerden oder mindestens drastisch zu reduzieren, die, gekoppelt mit schweren strategischen Fehlentscheidungen zu der offensichtlichen Überforderung und den kaum bestreitbaren Niederlagen in Afghanistan und im Irak geführt hatte. Schon zu Obamas Zeiten war, so berichtete einmal Madeleine Albright, die NATO in Meinungsumfragen in den USA weit weniger beliebt als in irgendeinem europäischen Land. Obama erfand im Libyenkrieg die merkwürdige Theorie des „leading from behind“. Obama zeichnete sich auch dadurch aus, dass er nach anfänglicher Hyperaktivität über die meisten seiner Regierungsjahre hinweg den klassischen Nahostkonflikt, einen, wie sich immer noch zeigt, zentralen Fokus der Weltpolitik, weitgehend ignorierte. John Kerry, als Obamas letzter Außenminister, zappelte ziemlich alleingelassen im Netz der Widersprüche dieses Konfliktes. In einer nachlesenswerten Rede an der Naval Academy in Annapolis schließlich brachte Obama seine Sicht in Form einer systematischen Darlegung. Diese Rede bedeutete meiner Meinung nach nicht weniger als eine Absage an die Grundlogik der US-Außenpolitik aller Obama Vorgänger seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese hatte darin bestanden, die USA als entscheidende und letztverantwortliche globale Ordnungsmacht zu verstehen, als eine Art Rückversicherer der internationalen Ordnung mit besonderer Verantwortung – und besonderen Privilegien – für das, was heute, mehr nostalgisch als analytisch, „the global liberal order“ genannt wird. Die USA wollten nach dem zweiten Weltkrieg, das war der Ausgangspunkt dieser Grundorientierung, den Fehler nicht wiederholen, den sie nach dem Ersten Weltkrieg gemacht hatten, als sie sich, wohl zur stärksten internationalen Macht aufgestiegen, aus der Verantwortung für die von Präsident Wilson mitkonstituierte internationale Ordnung davonstahlen. Keine globale Verantwortung übernommen zu haben trug nach der Überzeugung der Väter und Mütter dieser politischen Orientierung dazu bei, dass es im revisionistischen, faschistischen Deutschland, im faschistischen Italien und dem imperialistischen Japan begann, die Welt in einem zweiten Weltkrieg in Brand zu setzen. Um das nicht wieder geschehen zu lassen, nahmen die USA ihre Rolle als Garant der von ihnen stark geprägten multilateralen Ordnung mit UNO, NATO, Weltbank, IWF und anderen Institutionen als Kernbestandteil ihres nationalen Interesses auf. Amerikas Interesse war nicht nur identifiziert mit den in spezifischen Konflikten zu verteidigenden oder zu erkämpfenden Vorteilen fürs eigene Land, sondern erstreckte sich darüber hinaus auf die Gewährleistung der Grundparameter der etablierten internationalen Ordnung mit den USA als Supermacht im Zentrum. In den transatlantisch orientierten Ostküsteneliten herrscht diese Perspektive heute noch vor. Im Land insgesamt ist ihr die Unterstützung über die Jahre weggebröselt, besonders stark während der Präsidentschaft von George W. Bush. Als Barack Obama 2008 gegen das Versprechen der Neokonservativen, in Afghanistan und im Irak „nation-building zu betreiben“, mit der Gegenantwort erfolgreich war, es gehe jetzt um „nation-building at home“, markierte das die mentale Wegscheide.

In seiner Annapolis-Rede definierte Obama die globale Führungsrolle der USA neu. Mit dem amerikanischen Exzeptionalismus zu brechen, traute er sich nicht. Aber er versuchte, dessen praktische Konsequenzen zurechtzustutzen. Amerika sollte wählerischer sein, wenn es darum gehen würde, ob es seine Macht dafür einsetzen würde, die internationale Ordnung zu verteidigen. Amerika sollte sich stärker darauf konzentrieren das zu befördern, was dem Land selber unmittelbar guttun würde. Natürlich sprach Obama mit den Worten eines Intellektuellen aus der Bildungselite. Im Auftreten war er das völlige Gegenteil zu dem, was Trump heute darstellt. Trotzdem muss man sagen, in der Substanz hat Obama den Weg bereitet und eingeschlagen zu einer Neubestimmung der internationalen Rolle der USA. Seit Obama sind die USA auch in der Regierungspolitik auf dem Weg, auf dem sie in der Volksmeinung schon lange sein sollten, auf dem Weg des Rückzugs aus der als belastend empfundenen globalen Verantwortung.

Trump gibt dieser Bewegung des Rückzugs neue Impulse, etwa in dem er an der NATO rüttelt oder in dem er aus multilateralen Vertragswerken ausbricht; Beispiele: Pariser Klimaabkommen, WTO, TPP, Iranabkommen, um nur die wichtigsten zu nennen. Das heißt nicht, dass Trump darauf verzichten wollte, die USA dort, wo ihr enger definiertes nationales Interesse das begründen kann, als globalhandlungswillige Groß- und Supermacht eingreifen zu lassen. Aber seine Vorstellung von der Rolle einer Supermacht gleicht eher der von Putin oder Xi Jinping. Eine Groß- und Supermacht hat gegenüber Dritten Rechte; Pflichten hat sie nur gegen sich selbst. Das entspricht der berühmten Definition aus dem Melier-Dialog von Thucydides‘ Buch über den Peloponnesischen Krieg: Der Mächtige handelt, wie er will. Der nicht Mächtige handelt, wie er muss. Dieser uralten Logik hatte die Zeit des Multilateralismus eine modernere Logik entgegengesetzt, orientiert an der internationalen Herrschaft des Rechts. Daraus verabschieden sich die USA.

Meine Überzeugung, dass diese Wende kein nur vorübergehendes Ereignis sei, gründet darin, dass die Kraft der USA angesichts des phänomenalen Aufstiegs Ostasiens und vor allem Chinas nicht ausreicht, dafür die früher gewohnte Rolle weiter zu spielen. Wahrscheinlich hätten sich die USA dafür entscheiden müssen eine multilaterale Ordnung zu entwickeln, die weniger als die bisherige auf den Vorrang der Supermacht der USA gegründet war. Das wäre auch eine Art Rückzug gewesen, aber von gänzlich anderem Charakter. Im Widerspruch zwischen Supermachtrolle und multilateraler Orientierung hätte diese Perspektive Letztere zulasten der Ersteren gestärkt. Tatsächlich haben sich die USA exakt fürs Gegenteil entschieden. Supermacht wollen sie weiter sein, damit früher einhergehende multilaterale Kernverantwortung aber nicht mehr verlässlich weitertragen.

Die Neuorientierung der US-Außenpolitik spiegelt sich übrigens auch in deren Verhältnis zu China wider. Seit Nixon Anfang der 1970er-Jahre nach China gefahren war, hatten die USA gegenüber China die Haltung eines herablassenden, aber im Grunde gutmütigen Patrons vertreten. Im Vertrauen auf die eigene ökonomische und militärische Kraft und die Kraft der eigenen Ideen ging die Politik zahlreicher Präsidenten aus dem demokratischen wie republikanischen Lager davon aus, dass durch eine stärkere Integration Chinas in das internationale Gefüge dieses Land schließlich „responsible stakeholder“ (Robert Zoellick) würde. Die Hoffnung hat getrogen und in einer bemerkenswert geschlossenen Neuaufstellung betrachtet die amerikanische Außenpolitik, egal ob Trump Regierung oder klassische Republikaner oder Demokraten, China nun als Gegner, dessen Aufstieg negativ zu sehen und möglichst du verlangsam oder einzugrenzen ist. Damit bewegen sich die USA in die Richtung der sogenannten Thukydides-Falle. Mit diesem Begriff beschreiben Wissenschaftler und Feuilleton das historisch immer wieder zu beobachtende Aufeinanderprallen einer etablierten und einer aufsteigenden Großmacht, die kein Auskommen miteinander hinnimmt, so wie es der griechische Historiker in seinem schon erwähnten Buch über den 30-Jährigen Krieg zwischen dem altehrwürdigen Sparta und dem aufsteigenden Athen beschreibt. Eine multilateral strukturierte globale Ordnung stand Pate bei einem der wenigen historischen Beispiele dafür, das Abstieg und Aufstieg zweier Großmächte ohne die Zuspitzung einer militärischen Konfrontation auskommen kann. Das Beispiel boten das Vereinigte Königreich und die Vereinigte Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine multilaterale Ordnung wäre wieder erforderlich, um der Hoffnung reelle Chancen zu geben, dass der Wettlauf zwischen USA und China auch moderiert werden kann. Diese Chancen sinken mit der Neuorientierung der US-Außenpolitik weg vom Multilateralismus.

Für Europa ist die Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen, dass die Zeiten, was die internationalen Beziehungen betrifft, wohl noch viel ungemütlicher und fundamental herausfordernder werden, als sie derzeit schon sind. Und das wir nicht darauf setzen können, der Trumpismus könnte sich als ein vorübergehendes Schreckgespenst erweisen, das uns Angst gemacht hat, aber von einer Rückkehr zu früherer „Vernunft“ wieder entsorgt wird. Europa muss also verstärkt auf eigenen Füßen stehen. Aber dies nicht mit dem Selbstverständnis in der neuen Zeit des Multipolarismus eben auch zur Supermacht aufsteigen zu wollen, wie man das leider bei vielen konservativen und sozialdemokratischen Tagträumern im Europäischen Parlament immer wieder hört, Frau Mogherini ausdrücklich eingeschlossen!, sondern als Standartenträger und verlässlicher Bündnispartner des Multilateralismus und der internationalen Herrschaft des Rechts. Faktisch mögen sich auf diesem Weg durchaus immer wieder Bündnismöglichkeiten mit den USA ergeben. Doch ob Elemente der multilateralen Ordnung zusammen mit den USA aufrechterhalten werden können, obwohl diese sich nicht mehr dem Multilateralismus verpflichtet fühlen, weil es entsprechende konkrete Interessenkongruenz gibt, sollten wir das nicht gering achten. Doch in vielen Fragen wird Europa Trump, dem Trumpismus und der Neuorientierung der US-Außenpolitik entgegenwirken müssen. So wie aktuell des vom amerikanischen Präsidenten vom Zaun gebrochenen Handelskonfliktes. In dieser neuen Welt müssen wir uns möglichst schnell neu zurechtfinden.


Sonst noch
  • US-Präsident Trump gewährte der EU am Montag, 01.05., einen weiteren Monat ohne Zölle. Die EU darf den Konflikt mit den USA nicht eskalieren lassen. Meine Pressemitteilung dazu ist hier zu finden.
  • Zum Vorschlag der EU-Kommission zum neuen EU-Haushalt 2021-2027 gibt es ebenfalls eine Pressemitteilung von mir.
  • Das regionale European Ideas Lab beginnt heute in Kopenhagen mit Teilnehmern aus Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen, Griechenland, den Färöer Inseln und Island. Hier das Programm.
  • Nächste Woche reise ich mit der EU-China Delegation des Europäischen Parlaments nach Peking und Hangzhou. Wichtigster Programmpunkt ist ein Treffen mit Abgeordneten des Nationalen Volkskongresses.
  • Ich wünsche euch einen optimistischen Europatag. Am 09.05 findet ihr ein Video von mir auf meiner Webseite, Facebook und Twitter.