Als EU-Kommissionspräsident Juncker im vergangenen Herbst in seiner Rede vor dem Europäischen Parlament zur Lage der Europäischen Union davon sprach, die EU solle ein European Solidarity Corps (ESC) schaffen, gab es darauf zunächst wenig offizielle Resonanz. Meine Presseerklärung war vielleicht sogar die einzige Stellungnahme zu Junckers Rede, die diesen Vorschlag explizit begrüßte. Inzwischen jedoch ist etwas Bewegung in die Sache gekommen.
Die Europäische Kommission hat sehr schnell einen ersten schriftlichen Vorschlag vorgelegt. Eine öffentliche Anhörung dazu endet in diesen Tagen. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Vorschlags hatten sich schon über 20.000 junge Leute gemeldet, die sich für ein Engagement beim ESC interessieren. Im April sollen interessierte Akteure zu einem Stakeholder-Forum eingeladen werden, um den weiteren Weg zu besprechen. Zuständig ist in der Europäischen Kommission in erster Linie Haushaltskommissar Oettinger. Er hat für das ESC vorerst eine Finanzierung von 400 Millionen Euro bis 2020 ins Auge gefasst.
European Solidarity Corps ist ein neuer Name, aber die Idee ist nicht ganz neu. Sie geht zurück auf das Vorbild des von US-Präsident John F. Kennedy initiierten U.S. Peace Corps. Grüne Vorstöße, so einen europaweiten Freiwilligendienst zu schaffen, hat es, seit wir im Europäischen Parlament vertreten sind, wenigstens dreimal gegeben: Von Alexander Langer, später von Per Gahrton und zuletzt 2013 von der EGP noch einmal. Nun bestehen natürlich verschiedene Möglichkeiten, auch mit Unterstützung der EU Freiwilligenarbeit zu machen, etwa im Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes, der inzwischen seit 20 Jahren besteht. In dieser Zeit haben sich dort etwa 100.000 junge Leute beteiligt. Junckers Plan ist nun, noch einmal genauso viele Aktive in den vier Jahren bis 2020 zu mobilisieren. Aus Grüner Sicht stand immer der Gesichtspunkt der Selbstorganisation von Freiwilligen im Zentrum, weil wir zusammen mit dem Engagement zugleich auch das Empowerment von jungen Leuten fördern wollen.
Das Europäische Parlament wird sich demnächst mit dem ESC befassen. Dazu gibt es eine Vorlage aus dem Kulturausschuss. In unserer Grünen Fraktion sind bisher vor allem Helga Trüpel und ich an dem Thema interessiert.
Es ist jetzt zu früh, zu dem Vorstoß für ein ESC eine Zwischenbilanz zu ziehen. Viele wichtige Regelungen sind noch nicht festgezurrt. So gibt es zum Beispiel die Idee, im Rahmen des ESC nicht nur Freiwilligeneinsätze, sondern auch Beschäftigungsverhältnisse zu fördern. An der Stelle muss man natürlich zu Vorsicht raten. Weder ist es plausibel, die Beschäftigungsverhältnisse für junge Leute, die trotz gegenteiliger Versprechungen im Rahmen der Europäischen Jugendgarantie nicht geschaffen worden sind, jetzt noch einmal ins Schaufenster zu stellen, noch ist es naheliegend, kurzfristige Beschäftigungs- und Trainingsverhältnisse in größerem Umfang aus dem europäischen Haushalt zu subventionieren. Sinnvoll könnte es sein, für Auszubildende, die gerade die Gesellenprüfung abgelegt haben, einen europäischen Auslandsaufenthalt von einigen Monaten bei einem Unternehmen zu ermöglichen, in dem ihr Gewerk Anwendung findet. Warum sollte man nicht in neuer Form aufgreifen, was in früheren Jahrhunderten bei der Ausbildung hervorragender Handwerker eine große Rolle spielte, nämlich die Gewinnung eines länderübergreifenden Erfahrungshintergrundes? Dabei könnten für Jugendliche, die eine duale Berufsausbildung machen, Möglichkeiten geschaffen werden, die es für Studierende unter dem Erasmus-Programm längst erfolgreich gibt.
Wichtig wird natürlich auch die Regelung des Zugangs zum ESC sein. Es sollte nicht nur einen jeweils nationalen Zugang geben, sondern auch direkt einen europäischen, etwa über das Europäische Jugendforum. Sonst machen eventuell Engstirnigkeiten in der einen oder anderen Hauptstadt die europäische Offenheit und Begeisterung der interessierten jungen Leute zunichte. Außerdem kommt es schon auch darauf an, dass beim ESC Europa draufsteht, wenn Europa drin ist. Viel zu lange und zu oft haben sich nationale Entscheidungsträger Erfolge europäischer Politik jeweils an die eigene Brust gesteckt. Das ESC soll eine doppelte Chance sein: Sich durch ein Freiwilligenengagement selber weiterzuentwickeln und sich damit zugleich aktiv zum europäischen Projekt zu bekennen und dafür einzusetzen.
Schließlich noch mal zum Thema Selbstorganisation. Es sollten beim ESC nicht nur etablierte Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Caritas zum Zug kommen, sondern auch Initiativen, zu denen sich junge Leute in diesem Rahmen selbst verabreden. Auf jeden Fall wird über die Budgetausstattung des ESC gestritten werden müssen. Keinesfalls kann es sein, dass zur Finanzierung des neuen Projektes etwa Erasmusmittel herangezogen werden. Es braucht frisches Geld. Wenn die Mitgliedsländer der EU etwas für europabegeisterte junge Leute tun wollen, dann sollte ihnen das ja wohl bis zu zwei Milliarden bis 2020 wert sein. Und übrigens muss auch noch geklärt werden, wie bestehende Freiwilligenprogramme in das ESC integriert werden, weil ja Doppelstrukturen wenig Sinn machen. Da bin ich mal auf Herrn Oettingers bürokratische Kreativität gespannt.
Insgesamt empfinde ich das ESC als ein Projekt, für das wir Grüne uns engagieren sollten. Wer daran Interesse hat, kann sich ja melden.