Es ist nicht überraschend, dass die Vorschläge von Präsident Tusk zur Vermeidung eines britischen Rückzugs aus der EU Premier Cameron deutlich entgegenkommen. Berlin, Paris, Brüssel, Warschau und zahlreiche andere Hauptstädte haben seit langem die Bereitschaft zu Zugeständnissen signalisiert. Die jetzt vorgeschlagene Mischung soll den Tories ermöglichen, endlich ihre Angst vor einer Ja-Kampagne zur EU-Mitgliedschaft abzulegen.
Dass David Cameron schon signalisiert hat, er könne auf dieser Grundlage für einen Verbleib in der EU mobilisieren, blieb aber in seiner eigenen Partei nicht ohne Gegenworte. Das Brexit-Gespenst ist noch nicht vertrieben!
An zwei Punkten scheinen Tusks Vorschläge durchaus plausibel. Dass die Eurogruppe die anderen EU-Länder mit Entscheidungen nicht einfach überrollen darf, sondern sich gegebenenfalls einer Debatte mit ihnen stellen muss, ist schlicht vernünftig. Die vorgesehene Aufwertung der Rolle der nationalen Parlamente kann im besten Fall dazu beitragen, dass die Kooperation zwischen Europaparlament und Parlamenten der Mitgliedsländer im Vorfeld von Gesetzgebung verstärkt wird. Das wäre sicher kein Schaden.
Bei Camerons dritter Forderung nach mehr Wettbewerbsfähigkeit ist Tusks Ergebnis so mager und unbefriedigend wie Camerons Forderung. Wettbewerbsfähigkeit durch Deregulierung ist ein falsches Konzept von gestern, bei dem die EU gar nicht besonders viel Zugeständnisse machen kann, weil sie diesem Irrglauben bisher schon allzu sehr verfallen ist. Leider haben weder Cameron noch Tusk begriffen, dass künftige Wettbewerbsfähigkeit auf Nachhaltigkeit gründen muss.
Als schwierigster Stolperstein bleibt schließlich die vierte Forderung, EU-Ausländer in Großbritannien auf bis zu vier Jahre vom Zugang zu Sozialleistungen ausschließen zu können. Hier hat Tusk in Wirklichkeit bisher gar keine Lösung erzielt. Sein taktischer Gedanke heißt: Eine solche Einschränkung solle ausnahmsweise, als Notbremse, zulässig sein. Es ist schon ein himmelweiter Unterschied, ob eine solche Notbremse im Zweifel zum Beispiel für ein Jahr oder für fünf Jahre gezogen werden kann. Eine Diskriminierung, die Bürger anderer EU-Länder zu Arbeitnehmern zweiter Klasse macht, darf die EU Cameron nicht zugestehen. Hier steht das entscheidende Fingerhakeln daher noch bevor.
Wenn man angesichts dieser Ergebnisse das jahrelange Brexit-Gezeter noch einmal Revue passieren lässt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Cameron wahrscheinlich mit weniger Tamtam ein ähnliches Ergebnis auch schneller hätte erreichen können. Es bleibt daher das schale Gefühl, dass allzu viel politisches Kapital und europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl vergeudet wurden.