Interview: Reine Sparpolitik hilft nicht mehr weiter

„Reine Sparpolitik hilft nicht mehr weiter“ –Reinhard Bütikofer fordert den Schuldentilgungsfonds

Interview mit der Schwäbischen Zeitung, erschienen am 22. Juni 2012 (das Interview im Original hier abrufbar)

SZ: Herr Bütikofer, nächste Woche sollen Rettungsschirm und  Fiskalpakt durch Bundestag und Bundesrat gehen. Am Sonntag befasst sich Ihr grüner  Länderrat damit. Werden Sie zustimmen?

Bütikofer: Dem dauerhaften Rettungsschirm ESM, der hoffentlich mal ein europäischer Währungsfonds wird, stimmen wir Grüne zu. Den Fiskalpakt sehe ich sehr kritisch. Ich bin zwar für eine Schuldenbremse. Aber wir kommen mit einer reinen Sparpolitik nicht weiter. Auf die entscheidenden Fragen verweigert der Fiskalpakt die Antwort.

SZ: Für Sie gehört ein Wachstumspakt zum Fiskalpakt?

Bütikofer: Dreierlei ist wichtig: Es fehlt Wachstum, das der Nachhaltigkeit wie der europäischen Wettbewerbsfähigkeit hilft, zum Beispiel Ausbau von Breitband- und Strom- und Eisenbahnnetzen. Zweitens brauchen wir die Bankenunion. Und vor allem müssen wir etwas dagegen tun, dass die spanischen und italienischen Zinsen dramatisch aus dem Ruder laufen. Wir wollen den Schuldentilgungsfonds. Sonst heisst es: die Europäische Zentralbank muss fast grenzenlos Geld drucken – wer will das? – oder die Euro-Zone kracht wirklich auseinander.  Ohne den Schuldentilgungsfonds bin ich nicht dafür dem Fiskalpakt zuzustimmen.

SZ:  Sie haben sogar einen Grünen-Sonderparteitag gefordert. Warum?

Bütikofer: Wir brauchen die Debatte über die Gefahr, dass Europa scheitert. Die ganze Dramatik der Situation ist in Deutschland noch wenig angekommen. Wie schlimm etwa 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Spanien sind, wie sehr Merkels Versuch ein deutsches Europa durchzusetzen Deutschland gefährdet, wie wenig Zeit wir haben, darüber muss man reden.

SZ: Wenn die europäische Krise so groß ist, hat man denn dann Zeit, einen Sonderparteitag der Grünen abzuwarten?

Bütikofer. Es hat uns Grüne immer ausgezeichnet, solche Fragen im Angesicht der Öffentlichkeit zu diskutieren. Parteien wirken an der Willensbildung des Volkes mit. Wie wollen das tun, wenn wir nicht öffentlich Argumente wägen?

SZ: Auch Karlsruhe hat mehr Transparenz gefordert.

Bütikofer: Ein wunderbares Urteil.

SZ: Wie wollen Sie den Menschen nahebringen, dass mehr Europa nötig ist, wenn gleichzeitig Europa zur Zeit so unattraktiv wie nie ist? Die Menschen denken an Krise, an Geld, an das, was es kostet und daran, dass es abwärts geht.

Bütikofer:  Da würde ich den Bürgern ein freundlicheres Zeugnis ausstellen. Aus vielen Umfragen weiß man, dass sie mehr europäische Zusammenarbeit in der Wirtschaftspolitik sowie bei Umwelt und Sicherheit verlangen. Das ist vernünftig. Europa lebt dagegen nicht davon, dass in der kommunalen Auftragsvergabe jedes Komma europäisch normiert wird, dass dort zentralistisch von Brüssel aus hineinregiert wird.

SZ: Sie haben jetzt negativ formuliert, wo Europa nicht reinreden soll…

Bütikofer: … und positiv, wo mehr Europa nötig ist. Beispiel Wirtschaftspolitik: Wir müssen endlich mit Steuerharmonisierung anfangen. Wenn die verschiedenen Finanzminister sich gegenseitig Niedrigsteuer-Konkurrenz machen, kann kein Land seine öffentlichen Aufgaben erfüllen. Wir müssen die Steuerschlupflöcher und Steueroasen schließen. Wir brauchen die Finanztransaktionssteuer. Die dringendste Aufgabe ist es, dass die Schuldenproblematik der Mitgliedsländer gemeinsam angegangen wird –  Stichwort Schuldentilgungfonds.

SZ: Das heißt, dass Deutschland auch für die Schulden anderer zahlt.

Bütikofer: Nein, aber es heisst schon, dass wir Garantenstellung übernehmen. Das kostet durchaus. Wenn wir das verweigern, wird es aber teurer! Falls die Eurozone auseinanderfliegt – das ist inzwischen ein realistischer Albtraum – bleiben wir doch wirtschaftlich nicht verschont! Dann kommt hohe Arbeitslosigkeit auch zu uns. Denken wir doch mal nicht nur von zwölf Uhr bis Mittag! Ausdrücklich: Wir kommen aus der dramatischen Lage nicht heraus, ohne dass es etwas kostet. Gemeinsam geht’s aber besser. Und: Wie kriegen wir denn eine wirksame Aufsicht über die Banken samt Einlagensicherung, wenn nicht europäisch? Nur im Euro-Verbund kriegen wir in den kommenden Jahren eine positive wirtschaftliche Entwicklung hin. Dafür gibt’s die EU 2020-Strategie zu einem sozial und ökologisch geprägten Wachstum.

(Photo Credit: FlickR, author fdecomite)