#102 Bütis Woche: Iran: Du hast keine Chance, aber nutze sie

Der von den USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und dem Iran 2015 gemeinsam verabredete Plan zur Verhinderung der Atombewaffnung des Irans, den der UNO Sicherheitsrat kurz nach seinem Zustandekommen einstimmig beschlossen hatte, ist nach einem von Donald Trump lange angekündigten, einseitigem Ausstieg der USA faktisch tot.

Er hat es wieder getan. Präsident Trump hat seine europäischen Partner, vor allem Großbritannien, Frankreich und Deutschland, aber auch die EU insgesamt, vor den Kopf gestoßen. Er hat den Bruch der mühevoll erzielten Zusammenarbeit mit Russland und China leichthin in Kauf genommen. Er hat einseitig eine wichtige internationale Vereinbarung aufgekündigt, als müsse sich die Supermacht USA an ihre Verträge nur halten, solange es ihr beliebt. Er hat die USA international isoliert und dabei zugleich gezeigt, wie mächtig sie sind, weil sie auch aus einer solchen Isolation heraus anderen ihren Willen aufherrschen können. Präsident Trump hat damit seine eigene politische Basis erfreut und die Illusionen all derer widerlegt, die gehofft hatten, man könne wenigstens die extremsten Absichten dieses politisch unerfahrenen Präsidenten dadurch einhegen, dass man ihm vertrauenswürdige Berater an die Seite stellt. Die „adults in the room“, zu Deutsch: die politischen Babysitter, auf die so viele gesetzt hatten, weil sie sich vor Trumps Disruption fürchteten, sind vertrieben, an den Rand geschoben oder zu Trump übergelaufen. Trump regiert und seine den Kongress beherrschenden Republikaner weigern sich, ihm in den Arm zu fallen. Ob die Demokraten im Herbst wenigstens eines der beiden Häuser des Kongresses gewinnen werden, ist sehr ungewiss. Selbst wenn ihnen das gelänge, steht dahin, wie wirksam sie Gegenwehr leisten könnten. Dass sie Senat und Abgeordnetenhaus gleichzeitig gewinnen, ist hoch unwahrscheinlich. So müssen wir uns auf mindestens zweieinhalb weitere Jahre Trump einstellen. Seine mögliche Wiederwahl 2020 ist keineswegs ausgeschlossen.

Als Donald Trump ankündigte, die USA würden das Pariser Klimaabkommen verlassen, konnte man darauf verweisen, dass wichtige Bundesstaaten wie Kalifornien oder New York, dass viele große Städte in den USA und viele mächtige Unternehmen dort weiterhin aktive Klimapolitik betreiben wollen. Trumps großmäulige Absage an die Klimapolitik fand international keine Nachahmung. Man konnte argumentieren, auch dieser Präsident, der sich von Klimawandel-Leugnern beraten lässt, werde den Zug in Richtung aktiver Klimapolitik nicht aufhalten. Als Trump das gerade ausgehandelte transpazifische Handelsabkommen mit elf Partnerländern zerriss, fanden sich diese gegen alle Erwartungen untereinander zusammen, um das Abkommen eben ohne die USA weiterzuführen. Als Donald Trump verkündete, die USA würden unter Bruch der eigenen jahrzehntelangen außenpolitischen Grundüberzeugungen und entgegen internationalem Recht das ganze Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen, in dem die USA ihre Botschaft dahin verlegen, folgten ihm nur wenige. Als Trump die transatlantische Koordination bei den Russlandsanktionen dadurch brach, dass er einseitige US-amerikanische Sanktionen dazu packte, die de facto auch EU-Firmen bedrohen, protestierten Brüssel und andere europäische Hauptstädte. Als Trump die amerikanischen Sicherheitsgarantien für Europa nach Artikel 5 des NATO-Vertrages in Zweifel zog, war das Echo so stark, dass die US-Regierung sich zu beschwichtigenden Erklärungen veranlasst sah. Auch jetzt, beim Bruch des Iran-Abkommens, gibt es erhebliche Gegenwehr, nicht zuletzt aus der EU. Und zu Recht, denn dieser letzte Vorstoß beinhaltet die akute Gefahr einer dramatischen Zuspitzung der Gegensätze in der Region, verstärkte militärische Konflikte eingeschlossen, die Gefahr eines atomaren Rüstungswettlaufs zwischen dem Iran und seinen Nachbarn, die Gefahr, dass die weltweite Nichtweiterverbreitungspolitik für Atomwaffen insgesamt scheitert. Doch wir müssen zur Kenntnis nehmen, das zeigen die vielen Beispiele, dass dieser Präsident nicht auf eine multilaterale Grundorientierung der amerikanischen Außenpolitik zu verpflichten ist. Sein „America First“ heißt bei Bedarf eben auch „Only America“ oder „America alone“. Was wir noch nicht ausreichend realisiert haben, ist die Tatsache, dass er damit wesentlich stärker eine vorherrschende Stimmung in sehr großen Teilen der US-Bevölkerung repräsentiert, als uns die transatlantisch orientierten Vertreter der Ostküsten-Elite gerne glauben machen möchten. Europa muss deswegen aufhören, immer wieder nur von Fall zu Fall auf Trump‘sche Vorstöße zu reagieren. Die EU muss anfangen, eine eigene Strategie zu entwickeln, die mit zum Ausgangspunkt nimmt, dass die USA aufgehört haben, ein verlässlicher, multilateral orientierter Partner zur Aufrechterhaltung einer an gemeinsamen Werten und Interessen orientierten „liberalen Weltordnung“ zu sein.

Europas unmittelbare Reaktion auf Trumps Bruch des Iran-Abkommens bestand neben allgemeiner Empörung vor allem in der Ankündigung, man wolle das Abkommen dann eben möglichst auch ohne die USA am Leben erhalten. Das ist eine völlig richtige, aber nur schwer zu realisierende Absicht. Der Ausstieg der USA aus dem Abkommen wird verbunden mit Sanktionen gegen den Iran sowie alle die, welche in Zukunft mit dem Iran Handel treiben oder im Iran investieren wollen. Das bedroht unmittelbar die Firmen, darunter viele Großkonzerne, deren USA-Geschäft im Volumen ihr Iran-Geschäft um ein Vielfaches übersteigt. Man kann deshalb nur davon ausgehen, dass viele solche Unternehmen sich gezwungen sehen werden, zum Schutz ihrer US-Interessen die Iran-Verbindungen zu kappen. Erste Ankündigungen gibt es bereits. Viele Banken hatten aus Angst davor, in US-amerikanisches Kreuzfeuer zu geraten, ohnehin schon gezögert, in Iran-Geschäften aktiv zu sein. Gibt es aber einen Rückzug auf breiter Front aus den seit 2015 wieder angelaufenen Wirtschaftsbeziehungen zum Iran, dann droht dessen Wirtschaft, die derzeit schon in erheblichen Schwierigkeiten ist, ganz abzustürzen. Eine wesentliche Spekulation der sogenannten Reformer im Iran, die das Atomabkommen durchgesetzt hatten, war aber ja gerade gewesen, dass auf der Basis des Abkommens wirtschaftliche Impulse gewonnen werden könnten. Erweist sich das nun als Illusion, dann droht ein Umschlagen der innenpolitischen Dynamik im Iran. Die sogenannten Hardliner könnten in die Vorhand kommen. Und sie könnten zurückkehren zu der beschleunigten Urananreicherung, auf die Iran im Abkommen verzichtet hatte. Es liegt auf der Hand, dass Europa das, wenn möglich, vermeiden will.

Bisher hat die iranische Führung offenbar nicht definitiv entschieden, welchen Kurs sie letztlich einschlagen will. Sie appelliert an Europa, das Abkommen zu retten. Gemeint ist damit: Europa soll an den wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran festhalten, diese weiter ausbauen und schützen. Kann die EU das trotz der US-Sanktionen? Natürlich kann die EU kein Privatunternehmen zwingen mit dem Iran Geschäfte zu machen. Aber die EU könnte, dafür hat sie 1996 mal eine Rechtsgrundlage geschaffen, europäischen Unternehmen explizit untersagen, sich an die amerikanischen Sanktionen zu halten. Die Rechtsgrundlage von 1996 müsste dazu nur geringfügig angepasst werden. Die Europäische Kommission hat angekündigt das tun zu wollen. Funktionieren kann eine solche Untersagung nur, falls und insoweit die EU bereit ist, für den Schaden gerade zu stehen, der europäischen Unternehmen entstünde, wenn sie sich tatsächlich von den US-Sanktionen unbeeindruckt zeigen würden. An dieser Stelle kommt die normative Kraft des Faktischen ins Spiel. Die EU ist schlicht nicht in der Lage auf breitester Front für alle denkbaren ökonomischen Akteure einen so umfangreichen Schutz gegen amerikanische Sanktionen zu gewährleisten. Deshalb, so hat man sich offenbar beim jüngsten Treffen in Sofia verabredet, will man versuchen einen entsprechenden Schutz wenigstens für kleinere und mittlere Unternehmen zu organisieren. Das Kalkül wäre in etwa also folgendes: Viele große Konzerne werden aus dem Iran-Geschäft aussteigen, das lässt sich kaum abwenden. Für kleinere Unternehmen dagegen, deren US-Interessen überschaubarer sind oder die vielleicht gar nicht im US-Geschäft aktiv sind, ließe sich ein Schutz vielleicht herbeiführen. Die Frage ist, ob das Niveau von ökonomischen Beziehungen, das damit aufrechtzuerhalten wäre, der iranischen Führung genug Wirtschaftsvorteile bietet um nicht doch den dortigen Revolutionsgarden und anderen radikaleren Kräften nachzugeben, die nie für das Atomabkommen waren und nun gerne ihren Kurs in Richtung Atomwaffenproduktion wieder aufnehmen möchten. Ich bin skeptisch bzgl. der Erfolgsaussichten, aber unbedingt dafür es zu versuchen. Ob die Chance sich durch Zusammenarbeit mit Russland und China verbessern lässt, wird man auch prüfen müssen.

Die EU wird sich jedoch nicht darauf beschränken können, zu schauen, ob etwas am Atomabkommen zu retten ist. Ich würde weitergehen und sogar sagen, dass es ein Fehler der EU war, sich mehr oder weniger einzureden, dass man sich in den Iranbeziehungen auf den zweifellos außerordentlich großen Lorbeeren des Atomabkommens ausruhen könne. Diese kurzsichtige Haltung hat indirekt dazu beigetragen, dass der Weizen der rechten Konfrontationspolitiker in den USA schließlich so schön blühen konnte, dass ein Herr Bolton jetzt nationaler Sicherheitsberater ist. Iran verfolgt nämlich in der Regierung eine aggressive auf eigene Hegemonie zielende Außenpolitik, die ständig neue Spannungen schaffen hilft. Als dramatischstes Beispiel mag der Jemen dienen. Iran ist natürlich nicht allein. Saudi-Arabien, die Türkei und Israel leisten jeweils ihre eigenen „wertvollen“ Beiträge zur Destabilisierung der Region, von ISIS ganz abgesehen. Doch das kann uns mit Irans Außenpolitik ja nicht versöhnen. Immer wieder stellen iranische Spitzenpolitiker auch das Existenzrecht Israels infrage. Das Iran Nuklearabkommen zielte nicht darauf diese Fragen zu lösen und es ist unfair ihm vorzuwerfen, dass es das nicht geliefert hat. Aber die Kritiker des Nuklearabkommens in den USA haben immer wieder insistiert, dass die destabilisierende Rolle des Irans insgesamt kritisiert werden müsse. Damit hatten sie nicht Unrecht. Unrecht aber haben sie sehr wohl mit dem Versuch diese größeren Fragen durch eine brutale Konfrontationsstrategie lösen zu wollen. Rückwirkend muss man sich fragen, ob wir Europäer nicht mehr hätten tun müssen und den breiteren Kontext der iranischen Außenpolitik mit dem Versuch des Aufbaus einer umfassenden Sicherheitspartnerschaft zu adressieren. Das ist jetzt verschüttete Milch. Aber wir sollten aus der Einsicht, dass die Reduzierung der Iranbeziehungen auf die Nuklearfrage nicht möglich ist, die Schlussfolgerung ziehen, nun eben unter den erschwerten Bedingungen, die Trump herbeiführt, die ehrgeizigere Aufgabe neu anzugehen. Das braucht also, glaube ich, eine europäische Initiative für eine solche Sicherheitspartnerschaft. Dabei sollte man Russland und China und vielleicht auch Japan versuchen mit einzubeziehen.

Drittens bleibt die iranische Innenpolitik in ihrer brutalen Unterdrückung, mit zahllosen Menschenrechtsverletzungen und insbesondere auch mit massiver besonders reaktionärer Unterdrückung der Frauen. Die EU muss, das fordern gerade auch Menschenrechtler*innen im Iran, auch diesen Themen ihre Aufmerksamkeit zuwenden, diese Fragen unablässig ansprechen. Das Regime im Iran ist ein menschenverachtendes. Regime Change kann nicht Ziel der europäischen Politik sein, aber die Gewöhnung an dieses Regime eben auch nicht.

Man kann es vielleicht so sagen: Diejenigen in Europa, die geglaubt haben, europäische Iran-Politik könne aus den zwei Elementen Atomdeal und Geschäfte bestehen, denen hat, aus üblen Gründen, aber wirksam, Trump einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt haben wir eine Wahl. Entweder wir unterwerfen uns, vielleicht ein bisschen versteckt hinter der einen oder anderen abfedernden Maßnahme, oder wir entwerfen eine neue breit angelegte Iran-Politik, für die Grüne schon früher geworben haben. Die Zuspitzung, die wir gerade erleben, macht die Wahl schwieriger, aber ausweichen können wir ihr nicht.

 


Sonst noch
  • Zu dem Thema Rückzug der USA aus dem Atomabkommen gibt es hier noch eine Pressemitteilung von mir.
  • Gazprom hat am Dienstag mit dem Bau der umstrittenen Nord Stream 2-Pipeline in der Ostsee begonnen und zeigt damit wie sehr sie die ökologischen Bedenken, vor allem den Meeresschutz, missachten. Die Pressemitteilung gemeinsam mit Claudia Schulz ist hier zu finden.
  • Im Zuge der Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem gab es während Demonstrationen gegen die israelische Blockade in Gaza viele Tote und Verletzte auf palästinensischer Seite. Dazu gab es eine Pressemitteilung der europäischen Grünen und der Grünen/EFA-Fraktion.
  • Am 9. Mai wurde der Europatag gefeiert. Ein paar Gedanken von mir kann man sich in diesem Video anschauen.
  • Mein Kommentar zu einer möglichen EU-kritischen Regierung in Italien gibt es hier.
  • Vom 18. bis 20. Mai findet der European Green Party Council in Antwerpen statt. Den kann man per Livestream hier verfolgen.